mockingbird
Naja, mag man sich denken, schon wieder ein Asperger-Syndrom-Roman, kann den das gut gehen?
Ja, es kann. Die elfjährige Caitlin muss nicht nur mit ihrem Außenseitertum als Autistin fetig werden (sie selbst sieht sich ja nicht so), sie muss auch verwinden, dass ihr geliebter Bruder Devon bei ein ...
Naja, mag man sich denken, schon wieder ein Asperger-Syndrom-Roman, kann den das gut gehen?
Ja, es kann. Die elfjährige Caitlin muss nicht nur mit ihrem Außenseitertum als Autistin fetig werden (sie selbst sieht sich ja nicht so), sie muss auch verwinden, dass ihr geliebter Bruder Devon bei einer Highschool-Schießerei (“the Day Our Life Fell Apart”) zu den Opfern gehört; und sie muss damit leben, dass ihr allein erziehender Vater offensichtlich nicht in den Alltag zurück findet. Mit Hilfe ihrer Beraterin in der Schule versucht Caitlin jenen geheimnisvolen Zustand der “closure” herbeizuführen, was ihr lange ganz und gar nicht gelingen mag, weil sie sich auch mit so schwierigen Dingen wie Freundschaft und Empathie auseinandersetzen muss. Erst als sie ihren Vater überreden kann, Devons Pfadfinder-Projekt fertigzustellen, zeichnet sich ein Weg aus der Krise ab.
Wer nun befürchtet, hier einen Haddon-Abklatsch lessen zu müssen, der irrt. Erskine schafft es, Caitlin eine eigene Stimme zu geben, verfolgt sprachlich und inhaltlich auf ganz wundersame Weise den Weg ihrer Heldin zu “finesse” und schildert sehr überzeugend, wie sich die Welt aus der Sicht eines Asperger.Mädchens erschließt (in gewisser Weise sehr stark ohne Zwischentöne). Natürlich mag es Ähnlichkeiten geben, aber das liegt wohl am Syndrom: Wenn Caitlin erklärt, was es bedeutet, ein T-Shirt zu kaufen, dann merken wir, wie unendlich kompliziert eine Welt ist, in der zB bestimmte Farben kategorisch ausgeschlossen sind.
Erskine, die ein Highschool-Shooting (2007) relativ nah miterlebt hat, wirkt überzeugend - und voll Empathie für die Welt der elfjährigen Caitlin. Kein Wunder, dass sie für dieses Buch den National Book Award bekommen hat. Unbedingt als “parallel reading” einsetzen, wenn sie das fast unvermeidliche Haddon-Buch verwenden.
Philomel Books 2010; pp. 235