Tess lernt seit ihrem 3. Lebensjahr Geige – und versagt als 16-Jährige bei einem Konzert, wo sie einen Solopart übernehmen soll. Enttäuscht flüchtet sie zu ihrem Vater, der mit seiner neuen Familie in Montana lebt, und lässt ihre Mutter in New York zurück. Nie wieder möchte sie auftreten…
Allmählich erfahren wir, wie es mit Tess so weit gekommen ist. Eine überehrgeizige Mutter hat Tessie ihr Leben lang gedrillt, hat sie von Geigenlehrer zu Geigenlehrer geschleppt, ist mit ihr nach New York gezogen, weil es dort mehr Möglichkeiten gab, hat ihr nie selbst Entscheidungen überantwortet. Dies alles erfahren wir vorwiegend aus den Tessie-Kapiteln, während die Tess-Kapitel der Selbstfindung in Montana gewidmet sind. Ingold hat diese Abschnitte noch dazu mit allerlei Tier-Metaphorik garniert (der Adler, der wieder fliegen kann, etwa). Damit nicht genug: Ein weitere Erzählstrang berichtet vom harten Leben, das Frederik Bottner und seine Frau Maureen um 1900-1020 in der Wildnis von Montana führen; Frederik findet dennoch Zeit, seine Geige zu spielen.
Ingolds Roman erzählt recht anregend von Freuden und Qualen des Musizierens, von den Schwierigkeiten seine Bestimmung zu finden, von den ewigen Problemen sein wahres Selbst kennen zu lernen. Dabei ist es immer wieder faszinierend, Ausflüge in die Alltags-Geschichte einer doch ziemlich unwegsamen Gegend unternehmen zu können, gleichzeitig aber heutige Obsessionen mitzuverfolgen. Insgesamt ein gelungener Roman.