Harry Potter and the Deathly Hallows

Die drei letzten Worte de Romans kündigen nicht nur den Stillstand an, sie lassen auch das Hintertürchen offen, durch das Rowling nach vielen Tausenden Seiten in jene Welt zurückkehren kann, in die sie Millionen Leser/innen begleitet haben. Gleichzeitig folgt sie damit dem zyklischen Modell von ...

Die drei letzten Worte de Romans kündigen nicht nur den Stillstand an, sie lassen auch das Hintertürchen offen, durch das Rowling nach vielen Tausenden Seiten in jene Welt zurückkehren kann, in die sie Millionen Leser/innen begleitet haben. Gleichzeitig folgt sie damit dem zyklischen Modell von Geschichte, das ja typisch für die Gattung 'epic fantasy' ist.

Was als ein Werk begann, das in der Tradition der 'boarding school novels' stand, hat sich also zu einem veritablen Epos gewandelt, in dem Schuld und Vergebung und Selbstfindung, Ich-Identität und Tradition, Verwischung von klaren Grenzen des Guten und Bösen recht tapfer – und auch recht gekonnt – zusammengewürfelt werden.

Insbesondere die amerikanischen Medien waren voll von guten Ratschlägen, wie man die neue Potter-Lektüre therapeutisch begleiten könnte; vor allem der Umgang mit dem Tod wurde problematisiert, so, als ob wir nie von Winnetou oder Bambis Mutter Abschied genommen hätten. Rowling war ja verpflichtet, ein paar wichtige Figuren sterben zu lassen – aber sie hat sich dieser Verpflichtung eher 'perfunctorily', wie es so schön heißt, entledigt. Winnetou starb nachhaltiger….

Gut – nun ist das Epos vorläufig zu Ende, und viel Kluges und Dummes ließe sich zum Gesamtwerk sagen; das sei künftigen Diplomarbeiten und Sammelbänden vorbehalten. Nehmen wir den Anschlussband nur als Abrundung einer glaubwürdigen 'secondary world', ganz im Sinne des Altmeisters Tolkien, dann dürfen wir sagen: Ja, hier wurde wieder einmal ordentlich erzählt, so ordentlich, wie es in der Fantasy-Literatur möglich ist, wie es aber auch im Kolportageroman möglich war. Wer die 2700 Seiten von Mays "Waldröschen" gelesen hat, der wird wissen: So eine Erzählung lässt sich als Hochschaubahn inszenieren. Man merkt allerdings, dass Rowling 130 Jahre später schreibt: Ihre Hochschaubahn bewegt sich, trotz der 600 Seiten, vorwiegend in temporeichen Höhen. Die Erholungs- und Reflexionsphasen werden zwar als retardierende Momente eingebaut, aber im Grunde denkt Rowling bereits beim Schreiben schon sehr filmisch, sich wohl der Tatsache bewusst, das etwas eine schöne Verfolgungsjagd abgibt oder eine menge F/X erfordert – von den 20 Kinominuten, die die Hogwarts-Schlacht abgibt, ganz zu schweigen. Man sieht förmlich, wie sich das schön mit Harrys einsamem Weg bis zur letzten Auseinandersetzung auf der geistig-moralischen wie auch der physischen Ebene kontrastieren lässt. Und obwohl Rowling in den vergangenen Bänden, die ja, im Vergleich zum ersten Band, seitenmäßig explodierten, ihre Durchhänger hatte (und, wie ich weiß, so manche/n jugendlichen Leser/in dabei verlor), so schafft sie es diesmal einen konstant hohen Spannungsbogen aufrecht zu erhalten. Allerdings ist zu sagen, dass sich die Action allzu beliebig verlängern oder verkürzen ließe und nicht immer dramaturgischen Gesetzen folgt. Dramaturgischen Gesetzen folgt eher das Hochzeitskapitel, das ein notwendiges retardierendes Moment einbringt, oder die wochenlange Untätigkeit, zu der Harry gezwungen ist.

Kurzum, Rowling hat es wieder geschafft, ein dickes Buch zu schreiben, das sich atemlos lesen lässt; ich selbst habe es – ohne Absetzen – bei einem Langstreckenflug bewältigt; und ich war nicht der Einzige im Flugzeug, der das tat. Und Rowling hat es geschafft, sich nicht nur in der Geschichte des Buchwesens einen Platz der Unsterblichkeit zu sichern (den Potter-Hype muss ihr erst einmal jemand nachmachen), sie hat sich auch in der Geschichte der Fantasy-Literatur (wenn wir HP etwas unscharf so klassifizieren wollen) einen wichtigen Platz erobert. Ob es einer für die Unsterblichkeit ist, wird sich weisen, wenn man die sieben Bände nach einigen Jahren einer Neulektüre unterzieht. Aber die Wahrscheinlichkeit ist hoch. Tolkiens LOTR, den ich sozusagen beruflich viermal las, hat schon bei zweiten Lesen einen unerträglich hohen didaktischen Anteil geoffenbart; und trotzdem – nicht zuletzt wegen der Verfilmung – zeigt er sich weiterhin 'lesefest'. Ähnliches dürfen wir auch von Rowling erwarten. Und das ist ja kein schlechtes Gesamturteil.

P. S. Und ja! Danke an Rowling fürs Neuerleben der atemlos-kindlichen Lesefreude. Wie viele Bücher schaffen das schon!?

London: Bloomsbury 2007

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Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
01.08.2007
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