Rotkäppchen muss weinen
"Vielleicht sind alle Väter gleich", denkt sich die vierzehnjährige Malvina, als ihr Klatsche, der Bub aus der Nachbarschaft, davon erzählt, dass sein Vater immer herumbrüllt.
Die Väter kommen nicht gut weg in diesem Buch – wie die meisten Erwachsenen nicht gerade gut wegkommen. Entweder, weil ...
"Vielleicht sind alle Väter gleich", denkt sich die vierzehnjährige Malvina, als ihr Klatsche, der Bub aus der Nachbarschaft, davon erzählt, dass sein Vater immer herumbrüllt.
Die Väter kommen nicht gut weg in diesem Buch – wie die meisten Erwachsenen nicht gerade gut wegkommen. Entweder, weil sie Täter sind oder aber, weil sie nichts sehen und hören wollen.
Malvina hasst ihren Opa; Malvina kann eigentlich bis auf ihre Freundin Lizzy im Moment niemanden leiden; auch nicht Klatsche, der ständig hinter ihr her ist. Malvina hat auch nicht immer Zeit, denn sie muss mit dem Essenskorb zu ihrem Opa, der seit dem Tod der Oma als ziemlich vereinsamt gilt.
Erst allmählich – und fast lautlos, dafür aber umso schrecklicher, erfahren wir, dass Malvina schon vor vielen Jahren von ihrem Opa missbraucht wurde und dass er nun, in einer Mischung aus Larmoyanz und Einschüchterung, weiterhin daran denkt, den regelmäßigen Missbrauch Teil von Malvinas Leben werden zu lassen. Und die weiß sich nicht zu wehren: Es erkennt niemand die Signale, es hört ihr niemand zu - und Malvina macht es ihrer Umwelt auch schwer, denn als sie von einer Nachbarin ihres Großvaters angesprochen wird, igelt sie sich ein. Beim Opa tut sie so, als wäre ihr Körper nicht vorhanden.
Erst ganz langsam macht sie sich selbst Mut, helfen ihr die Nachbarin und Klatsche ein bisschen, erst ganz langsam findet sie ihre Stimme. Und am Schluss kann sie sagen: "Ich heiße Malvina, und ich habe gelernt zu schreien."
Was hier ein bisschen plakativ klingen mag, ist in Wirklichkeit so ausgezeichnet, leise und unaufgeregt und trotzdem ziemlich schaurig beschrieben. Gerade dadurch, dass Hanika mit sparsamen Gesten und überzeugender, literarischer Sprache erzählt, entfaltet sich die Wirkung viel stärker, als hätte sie tatsächlich einen Reißer geschrieben. So trifft der Satz, dass das Buch Mut und Wut macht, tatsächlich zu, und wer sich mit dem Thema auseinandersetzen will, der wird wohl nicht so schnell auf ein besseres Buch treffen.
Fischer Schatzinsel 2009; S. 223