Ein Sehnen nach etwas
Eide hat mit diesem Buch zum zweiten Mal den Österreichischen Kinderbuchpreis erhalten (vgl. dazu auch 1000 und 1 Buch, 6/1992), und so ganz nebenbei wundere ich mich ein bisschen. Natürlich liest sich in einer Rezension gut, dass mit viel Einfühlungsvermögen und Offenheit die Geschichte der elf ...
Eide hat mit diesem Buch zum zweiten Mal den Österreichischen Kinderbuchpreis erhalten (vgl. dazu auch 1000 und 1 Buch, 6/1992), und so ganz nebenbei wundere ich mich ein bisschen. Natürlich liest sich in einer Rezension gut, dass mit viel Einfühlungsvermögen und Offenheit die Geschichte der elfjährigen Anna erzählt wird, die allmählich ihre Sexualität entdeckt. Leicht wird ihr die Entdeckungsreise ja nicht gemacht: Torstein, in den sie sich verliebt, entpuppt sich allmählich doch nicht als der Richtige, ihr richtiger Vater, den sie ab und zu besucht, nimmt sich nie wirklich Zeit für sie, auch ihre Mutter, die mit einem durchaus netten Mann zusammenlebt, kümmert sich nicht immer um Annas wirre Gefühlswelt; noch dazu verbirgt Anna unter ihrer Matratze ein "schreckliches" Geheimnis...
Wie gesagt: Das Rezensentenherz könnte jubeln, würde sich die Geschichte nicht zu oft einfach "norwegisch" lesen. Ich weiß, dass ich jetzt die Länder ein wenig durcheinanderwirble, aber stellenweise hat man das Gefühl, dass Bergman im Hintergrund seufzt, Erland Josephson zu Wagner-Klängen düster blickt und Liv Ullmann sich versonnen im Spiegel betrachtet, während ein kleines Mädchen hilflos durchs Leben tappst; mit anderen Worten: Der schwermütige Grundton ist nicht zu leugnen, auch wenn gegen Ende das unbestimmte Sehnen Gestalt annimmt. Wo aber Rezensenten/-innen gern Wörter wie "zart" und "behutsam" bemühen, da versagt Kinderinteresse. Meine zwölf-dreizehnjährigen Leserinnen konnten dem Buch nur wenig abgewinnen. Die eine war gelangweilt, die andere fühlte sich dem Buch schon entwachsen, die dritte legte es beiseite, um sich auf ein anderes zu stürzen. Da meine Leserinnen (eine dritte Klasse) aber Vielleserinnen sind, wundere ich mich eben, dass sie das Buch so wenig packt (auch längere Gespräche brachten keine Änderung der Urteile).
Mir selbst hat es zunehmend besser gefallen, und es gehört sicher zu den Büchern, die erst mit Langzeitwirkung nagen. Dennoch: Eher scheint's mir ein Roman, den Eltern, Tanten, Beflissene aller Art in den Geschenkkorb packen. Ob die Kinder auch den Großen Buchpreis verleihen würden, sei dahingestellt.
(GF3/6-1993)