Von Mädchen und Drachen. Ein Märchenroman
"Wenn wir nur etwas tun könnten. Mir stinkt das, so aus der Feme zuschauen, quasi von oben herab. Und nicht dreinfahren können, mal so richtig! Unter das blöde Männervolk! Ach, und auch die Weiber sind zum Verzweifeln. So was von gottergeben, wie die Lämmer, die sich brav zur Schlachtbank führen ...
"Wenn wir nur etwas tun könnten. Mir stinkt das, so aus der Feme zuschauen, quasi von oben herab. Und nicht dreinfahren können, mal so richtig! Unter das blöde Männervolk! Ach, und auch die Weiber sind zum Verzweifeln. So was von gottergeben, wie die Lämmer, die sich brav zur Schlachtbank führen lassen. Grauenhaft!" Also spricht eines der zwölf Drachenmädchen in Kaisers Märchenroman.
Drachenmädchen sind Drachen, die sich, als Mädchen bedrängt, in Drachen verwandeln und zu ihrer ureigenen Kraft und Stärke zurückfinden. Die Heldin des Romans, Gwendolyn, hat sich verwandelt, weil von ihr auf dem elterlichen Schlosse nur das Heranwachsen zur stickenden, liebreizenden, nichtssagenden Hausfrau gefordert worden war. Sie kostet mit ihren Freundinnen die Verwandlung aus, bis sie den Künstler Hans kennenlernt, für den sie wieder ihre Mädchengestalt annimmt, mit dem sie on Kind bekommt, was allerdings ihre naturwissenschaftlichen Studien nicht beeinträchtigt. Ein großes fest, das selbst Laue und Schurken läutert, beschließt den Roman.
Sie merken, worauf Susanne Kaiser hinauswill. Im Gewand des Märchenromans lässt sich nicht nur eine große Emanzipationsgeschichte, sondern auch eine Selbstfindungs- und Transformationsgeschichte erzählen. Die beginnt meines Erachtens auch durchaus spannend, aber nach dem ersten Drittel etwa ist Kaiser versucht, alles, was nur irgendwie zu weiblicher Selbstfindung wie auch zu weiblicher Mystik paßt, unterzubringen. Manchesmal reicht die schlichte Rollenumkehrung (Gwendolyn biegt sich den Kopf des Hans zum Kuss zurecht), manchesmal wird die quasi-religiöse Zeremonie beschworen, dann wieder wird etwas "ganz spontan" geäußert. Nun mag diese Anhäufung in einem Märchenroman durchaus ihre Berechtigung haben, wenn nicht über weite Strecken des Buches das Didaktische allzusehr in den Vordergrund träte. Dadurch verliert das Buch leider an Spannung - und an Leserinnenschaft, würde ich meinen. Erwachsene mögen vielleicht am programmatischen Charakter des Buches mehr Vergnügen finden als Jugendliche; damit wurde aber meines Erachtens die Chance vertan, einen zeitgemäßen Mädchenroman zu schreiben. Allerdings spiele ich gleich den advocatus diaboli. Nehmen Sie meine Besprechung nur als Hinweis auf das Buch, lassen Sie sich nicht von der Lektüre abhalten. Reichen Sie es auch an Ihre Klassen weiter. Vielleicht kann sich jemand unter Ihnen zu einer kurzen Rückmeldung, Kritik, Jubelrede etc. aufraffen.
(GF6/11-1994)