Samir und Jonathan
Samir ist ein Junge, der in der besetzten Westbank lebt; als er sich bei einem Fahrradunfall das Knie verletzt, wird er in einem "Krankenhaus der Juden" operiert. Allein unter jüdischen Kindern in einem Krankenhaus, das für seine Eltern wegen der Ausgangssperren unerreichbar ist, muss Samir sich ...
Samir ist ein Junge, der in der besetzten Westbank lebt; als er sich bei einem Fahrradunfall das Knie verletzt, wird er in einem "Krankenhaus der Juden" operiert. Allein unter jüdischen Kindern in einem Krankenhaus, das für seine Eltern wegen der Ausgangssperren unerreichbar ist, muss Samir sich zum ersten Mal in einer völlig fremden Welt behaupten. Allmählich knüpft er Kontakte zu den anderen Kindern, vor allem zu Jonathan, der ihn auf seine "Phantasiereisen" zu den Sternen mitnimmt (wobei die therapeutische Wirkung der Reisen unverkennbar ist). Neben dieser 'Freundschaft' entwickelt sich aber auch ein wortloses Einverständnis mit anderen Kindern, "Feinden" gewissermaßen, wie die schöne Schlussszene des Buches zeigt.
Vom Krankenhausalltag abgesehen erfahren wir viel über Samirs Zuhause, den blinden Großvater, die Mutter, die die Familie erhält, den Vater, der den Tod von Fadi, Samirs jüngerem Bruder, nicht verwinden kann.
Ob Israel-Palästina oder irgendein anderer Konfliktherd auf dieser Welt - aus der Sicht der Kinder entsteht eine Welt voll Trauer, kleiner verletzender Szenen, aber auch von Szenen unerwarteter Freude und plötzlichen Verstehens. Wie Samir etwa seine wenigen Englischsätze hütet und immer wieder übt, ist m.E. eine absolut berührende Szene.
Carni kommt nicht mit den großen Gesten, sondern mit den vielen Alltäglichkeiten, die unser Leben ausmachen, und fängt damit das Leben dieser Kinder schärfer ein, als es je Dokumentarfilme zu tun vermöchten. Ich weiß nicht, wie sehr jugendlichen Lesern/-innen diese Zwischentöne bewusst werden, dass sie sich aber in ihren Herzen und Köpfen verankern werden, dessen bin ich mir gewiss. Ein lesenswertes und (wie immer beim Hanser Verlag) auch sorgfältig gemachtes Buch.
(GF9/5-1996)