Mütter mit Messern sind gefährlich
Was ich an van Ranst mag, ist sein Hang zum Skurrilen (s. Archiv). Aber, wenn ich ein wenig verallgemeinern darf, das bin ich aus der niederländischen KJL schon ein bisschen gewöhnt. Bei uns kommen derlei Bücher immer ziemlich bieder einher, aber hier wird nicht mit Zeigefingern gewackelt, sonde ...
Was ich an van Ranst mag, ist sein Hang zum Skurrilen (s. Archiv). Aber, wenn ich ein wenig verallgemeinern darf, das bin ich aus der niederländischen KJL schon ein bisschen gewöhnt. Bei uns kommen derlei Bücher immer ziemlich bieder einher, aber hier wird nicht mit Zeigefingern gewackelt, sondern die Welt so dargestellt, wie sie (möglicherweise) einem etwas seltsamen Zwölfjährigen erscheint.
Jef wohnt mit Mutter und Schwester Iene in einem Sozialbau, Zikkurat genannt. Sie wohnen im 5. Stock, also deutlich besser als sein 14jähriger Freund Süleyman, der (da Türke) mit zahlreichen Geschwistern im 11. Stock wohnt (je höher das Stockwerk, desto schlechter der Status). Und dann ist da auch noch Harry, der Freund von Jefs Mutter, aber über den mag Jef vorerst nicht reden.
Jef liebt seine Familie, vor allem Iene, die 16 und schwer behindert ist. Seine Angst: die Familie könnte auseinanderbrechen. Einmal, weil sich Harry dazwischen drängt; und dann auch noch, weil seine Mutter andeutet, Iene in ein Heim geben zu wollen. Und da Jef überzeugt ist, dass seine Mutter durchgreift, denn immerhin hat sie, Mitglied eines Messerclubs, seinen Vater erstochen (eine ide fixe von Jef), versucht er, das zu verhindern – in einer wirren Aktion gemeinsam mit Süleyman (dem er auch nicht ganz vertraut).
Der schmale Band ist so voll von Überraschungen, liebenswerten (und „grauseligen“) Schlenkerern, unterhaltsamen und tief bedeutsamen Gedanken, dass man am Ende meint, ein dreimal so dickes Buch gelesen zu haben. Und hinter all der Skurrilität verbergen sich – ein bisschen wie bei J. Wilson – gelungene Darstellungen der Mühseligkeiten und Träume des Alltags.
Ich habe van Ranst schon zweimal bei der Frankfurter Buchmesse getroffen und kann nur wiederholen: Schade, dass wir immer zwei Jahre auf ein Buch von ihm warten müssen. Aber so ist es halt, das Leben.
Carlsen 2010; S. 158