Und jenseits liegt kein Paradies

Die Geschichte des Eises und der Finsternis beginnt keineswegs mit Ransmayrs Buch über die Nordpolexpedition von 1873, sondern (auch) mit der Zweiten Deutschen Nordpolexpedition von 1869, an der der Urgroßvater der Autorin, der damals 32-jährige Geologe Dr. Gustav Laube, teilnahm. Laubes Tagebuc ...

Die Geschichte des Eises und der Finsternis beginnt keineswegs mit Ransmayrs Buch über die Nordpolexpedition von 1873, sondern (auch) mit der Zweiten Deutschen Nordpolexpedition von 1869, an der der Urgroßvater der Autorin, der damals 32-jährige Geologe Dr. Gustav Laube, teilnahm. Laubes Tagebuch und eine Handvoll entsprechender Reiseberichte und Sachbücher bilden den Hintergrund für diese romanhafte Darstellung der einjährigen, strapaziösen Fahrt des Teams der Hansa, eines Schiffes, das den damaligen Erkenntnissen der Seefahrt und Wissenschaft vollauf genügte. Im September liegt die Hansa im Eis fest, im Oktober sinkt sie und die Mannschaft rettet sich auf eine Scholle in ein Haus aus Kohlenbriketts, das sie erbaut hat. Nach dem Bruch der Scholle treibt sie monatelang im Eismeer, bis sie im Juni - wie durch ein Wunder - die Missionsstation Friedrichsthal erreicht.

Das Romanhafte wird durch die Geschichte der 18-jährigen Rika Helgens aus Nordhaven gewährleistet, durch deren Augen wir die Expedition miterleben. Als ihr Vater und ihr Zwillingsbruder Jan, der auf der Hansa angeheuert hat, beim Fischen ums Leben kommen, verlässt sie, als Jan verkleidet, die kranke Mutter, um seine Stelle anzutreten und erweist sich als tüchtiger Leichtmatrose, dessen wahre Identität erst nach einiger Zeit vom Schiffsarzt Dr. Buchholz entdeckt wird. Dies bietet natürlich Identifikationsmöglichkeit und Gelegenheit zur Empathie, aber an sich steht die unglaubliche Geschichte der Expedition für sich allein und trägt das gesamte Buch. Rika bietet sozusagen die Möglichkeit des weiblichen Blicks, das fast kitschige Element des Heiratsantrags am Schluss einmal vergessend, und ihre Erzählfigur kann den Leser/die Leserin für die Dauer der Erzählung an die Hand nehmen, aber die eigentliche Spannung kommt - wie gesagt - aus den wahren Begebenheiten.

Laube hat sich dafür entschieden, weitgehend die Sprache des 19. Jahrhunderts zu verwenden, d.h., ihre Erzählung kommt bisweilen bieder und altväterisch daher, was anfänglich stören mag (noch dazu, wenn als Bildungszitate Storm und Eichendorff einfließen), aber mit der Zeit sieht man die Herren Wissenschaftler mit ihren wohlgestutzten Bärten (vermutlich immer wieder über randlose Brillen auf Westentaschenuhren blickend) sehr deutlich vor sich, und der Kapitän ist ein würdiger Kapitän, die Leichtmatrosen scherzen, wie sich's gehört, und der Zimmermann ist rechtschaffen abergläubisch.

Kurzum, Jugendliche, die sich für Abenteuerbücher mit Wahrheitscharakter interessieren, werden mit diesem Band ihre Freude haben; das gilt gleichermaßen für Mädchen und Buben - und Erwachsene können sich wieder einen Teil ihrer aufregenden Kindheitslektüre zurückholen.

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
01.07.2001
Link
https://rezensionen.schule.at/portale/rezensionen/julit-deutsch/identitaet/detail/und-jenseits-liegt-kein-paradies.html
Kostenpflichtig
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