Die anorexische Lelle (15), die überdrehte, den Vater hassende, sich stets Knochen brechende Cotsch (17), die ordentliche, weinende Mutter, der im Keller Schuhe putzende und immer wieder ins Geschäft entschwindende Vater - sie alle in der gelb tapezierten Wohnung in der Provinz klingen wie eine Psycho-Familie aus dem Bilderbuch. Mag sein - aber genau wissen wir es nicht, denn wir bekommen ausschließlich Lelle zu hören. Und die legt flugs dem Nachbarsjungen Artur (der wie Detlef aus "Wir Kinder von Bahnhof Zoo" aussieht und daher vermutlich auch ein Strichjunge ist) folgenden Satz in den Kopf: "Ich wette, der denkt bei sich: 'Lelle ist die einzig normale Person in dieser ganzen durchgeknallten Familie!'" (160)
Sehr unwahrscheinlich, denn Lelle, die in der Schule als fröhlich und unbeschwert gilt, hat es garantiert nicht leicht mit ihrer Familie, mit sich selbst - und mit ihrer Fantasie, die vorwiegend durch Artikel in Mädchen und andere Schauergeschichten vom Erwachsenwerden und von der Sexualität genährt wird. Aber obwohl sie allesamt tragische Figuren sind, ist das Buch voller (makabrem) Witz. Wir pendeln ständig zwischen Lelles subjektiven Darstellungen und ihren vorausgreifenden Fantasien. Zwischendurch erhalten wir eine kalte Realismus-Dusche. Das ergibt eine höchst unübliche Mischung in einer sehr gelungenen Jugend-Sprache und sorgt dafür, dass "Ich habe einfach Glück" (durchaus ironisch gemeint) ein unübliches Jugendbuch ist, das von den Leserinnen meiner vierten Klasse mit Vergnügen verschlungen wurde, gerade auch wegen der einigermaßen bizarren Vorfälle. Der Deutsche Jugendliteraturpreis kommt also nicht von ungefähr. Zu beziehen nur über Zweitausendeins (www.zweitausendeins.de).