Bonsai

Dies ist gleichsam ein Gegenstück zu Nöstlingers deprimierendem "Andreas oder Die unteren sieben Achtel des Eisbergs." Bonsai heißt natürlich nicht wirklich so, sondern wird von seinen Klassenkameraden "witzigerweise" so genannt, weil er mit seinen 15 Jahren noch immer so klein ist, kleiner als ...

Dies ist gleichsam ein Gegenstück zu Nöstlingers deprimierendem "Andreas oder Die unteren sieben Achtel des Eisbergs." Bonsai heißt natürlich nicht wirklich so, sondern wird von seinen Klassenkameraden "witzigerweise" so genannt, weil er mit seinen 15 Jahren noch immer so klein ist, kleiner als das kleinste Mädchen in der Klasse. Dafür ist er aber auch ein gewaltiger Intellektueller, eine Wiener Version des Adrian Mole, d.h. jemand mit mehr Selbstironie und Durchblick. Überhaupt, Durchblick hat Bonsai, was seine Umgebung betrifft: Die Alleinerzieherin (sein Name für seine Mutter) durchschaut er ebenso wie den Religionsspringer, die Mitschülerdödeln, Pribil & Pribil (die herzigen Dummbaucherln, von anderen für Schickimickis gehalten), seine dicke Tante - und viele andere mehr (wie's einst so schön auf Kinoplakaten geheißen hat).

Weniger sicher ist er sich bei seiner Kusine Eva-Maria - und bei sich selbst. Eva-Maria bringt ihn nämlich auf den Gedanken, er könnte homo oder bi sein, und fortan bereitet ihm sein (potentielles) Sexualleben einige Selbsfindungsqualen. Da helfen auch Eva-Marias Verführungsversuche nichts, sie verschrecken eher. Dass Eva-Maria noch ganz andere Motive hat, wird erst im letzten Kapitel klar.

Bis dahin lesen wir eigentlich ein äußerst unterhaltsames Buch. Am Beginn habe ich mich leicht geärgert - die urcoole Diktion fand ich manchmal echt arg und urkünstlich, aber man liest sich ein, und irgendwann kommt der Punkt, da klingt's wirklich authentisch. In der Tat erinnert mich die Schreibe an einige meiner Schüler: gehobener Mittelstand, gesichertes Umfeld, das diverse Skurrilitäten erlaubt, kleine Ausbrüche fördert und viel jugendliches Selbstbewusstsein zulässt.

"Bonsai" ist nicht typisch Nöstlinger, dazu ist der Titelheld etwas zu alt. Aber "Bonsai" ist ein Roman, in dem Nöstlinger, wie immer, das Ohr für jugendliche Nöte und Sprache eines ganz bestimmten Typs spitzt und diese dann gekonnt zu Papier bringt, wobei die tagebuchartige Erzählform ihr das Schreiben und uns das Lesen sichtlich erleichtert.

Jene, die bei Nöstlinger die Nase rümpfen, meist, weil sie einen "foineren" Ton im Jugendbuch wünschen, werden auch diesmal rümpfen; jene, die die Autorin alle Jahre hindurch begleitet haben (und da sind viele Erwachsene drunter), werden "Bonsai" mit Vergnügen lesen, vielleicht sogar auf seine Wiederkehr hoffen.
(GF12/12-1997)

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
01.07.2001
Link
https://rezensionen.schule.at/portale/rezensionen/julit-deutsch/heranwachsen/detail/bonsai.html
Kostenpflichtig
nein