Ich ganz cool
"Oder dieser Film von Holger, nä, wo die Platte rückwärts und sie den Zauber machen mit den Leichenteilen und alles, aus der Gruft, schschschpp!, ist der Kopf ab von dem Lehrer, iiihhh [...]".
Steffen, "Held" dieses Buches, erzählt, stößt hervor, was ihn wirklich bewegt. Es ist ohnehin wenig - ...
"Oder dieser Film von Holger, nä, wo die Platte rückwärts und sie den Zauber machen mit den Leichenteilen und alles, aus der Gruft, schschschpp!, ist der Kopf ab von dem Lehrer, iiihhh [...]".
Steffen, "Held" dieses Buches, erzählt, stößt hervor, was ihn wirklich bewegt. Es ist ohnehin wenig - da sind Mutjoggen (= vor einem Auto über die Straße laufen), geile Videos (= Horror) reinziehen, von einer Kawasaki/Honda träumen, seinen Bruder beim S-Bahn-Surfen (= an der Außenwand mitfahren) bewundern.
Steffen ist ein Kind aus tristen Verhältnissen, Mutter arbeitend, alleinerziehend, stets von irgendwelchen Freunden im Stich gelassen, kleine Schwester ein herzig anzusehender Vidiot. Der Vater hat sich längst abgesetzt, und als er Steffen besuchen kommt, treffen zwei fremde Welten aufeinander. Steffen bleiben nur seine ausgedehnten Tagträume (in die Erzählung eingeschoben) und der Hoffnungsschimmer einer Freundschaft.
Boie, Autorin zahlreicher Jugendbücher, hat ein interessantes Experiment gewagt: Sie stellt die Welt, in der die Geschichte angesiedelt ist, vorwiegend in der Sprache eben dieser Welt dar. Das Resultat sind ein telegrammartiger Stil, gespickt mit Schimpf- und Modewörtern, und eine Weltsicht, die von einer (notwendigerweise) völlig verarmten Sprache getragen ist. Hinzu kommt für uns natürlich ein Idiom, das wir sowieso "nicht so echt abhaben können."
Wie dem auch sei, das Buch schien mir interessant genug, einige meiner 13}ährigen Schülerinnen und Schüler zu bitten, es zu lesen. Fast alle von ihnen haben die Sprache und den geringen Wortschatz beanstandet; für sie war es die Geschichte von einem, der zu oft vorm Fernseher hockt und daher nicht mehr ordentlich reden kann. Nur wenige haben die Idee, eine ihnen fremde Welt mit einer ihnen wenig vertrauten Sprachform darzustellen, interessant gefunden - und die haben natürlich über das 'Piefkinesische' gemeckert.
Für Deutschlehrer/-innen wird die Entscheidung wohl lauten: Lassen sich derartige Bücher als Schullektüre einsetzen (im Grunde ja), und wie muß ich sie didaktisieren, um allen beim Einblick in eine für sie vermutlich doch fremde Welt zu helfen. Übrigens, mögliche Elternreaktionen sollten vorher auch bedacht werden.
(GF2/3-1993)