Erwachsene reden. Marco hat etwas getan
Von all den Texten, die in letzter Zeit zum Thema Rechtsradikalismus erschienen sind, zählt dies für mich zu den besten - und entlarvendsten. In irgendeinem verschlafenen Nest in Deutschland, dem "idyllischen" Deutschland, verübt der etwa 16-jährige Marco einen Brandanschlag auf Wohncontainer; a ...
Von all den Texten, die in letzter Zeit zum Thema Rechtsradikalismus erschienen sind, zählt dies für mich zu den besten - und entlarvendsten. In irgendeinem verschlafenen Nest in Deutschland, dem "idyllischen" Deutschland, verübt der etwa 16-jährige Marco einen Brandanschlag auf Wohncontainer; allmählich erfahren wir, dass zwei türkische Kinder dabei umgekommen sind. Eine allgemeine Welle der Distanzierung folgt.
Boie, immer gut für gediegene und gleichzeitig unübliche Jugendliteratur, hat eine interessante Erzähltechnik gewählt, die dem Titel entspricht. Marco selbst kommt nie zu Wort, er ist der, der etwas getan hat. Dafür reden andere Bewohner des Ortes, und sie reden sich in den Kurzinterviews oft um Kopf und Kragen. Der Bürgermeister will beschönigen, der Rektor der Schule versteht den Ausnahmefall nicht, der Kraftfahrzeugmechaniker findet zu Marco wenig Zugang, die Grundschullehrerin spricht vorwiegend von Marcos Brüdern, der Lehrer platzt vor Stolz auf seine antifaschistische Haltung, "die er konsequent durchzieht", die Klassenkameraden wollen nichts mehr mit Marco zu tun haben, ergehen sich aber in (subtiler) Ausländerfeindlichkeit. Nur Pastor und Sozialarbeiter zeigen Zweifel, aber auch die stellen das Ich in den Vordergrund. Allmählich entsteht ein vages Bild von Marco, bewusst offengehalten und nicht zum Sozialakt verkürzt. Was Boie nämlich zu zeigen versucht, ist, wie Geisteshaltung und Sprache (von Türken abfackeln und Türkenverbrennen ist da die Rede) alle vorgeblich Unschuldigen, alle Beschwichtiger verraten. Marco hat 'nur' das getan, wovon alle reden, auch wenn sie später sagen, man müsse ja nicht gleich jemanden verbrennen, abschieben reiche wohl.
Marco tut es leid, dass Kinder verbrannt sind, aber die ganze Aufregung versteht er nicht. Alle haben ganz anders geredet - wieso ist nun er alleine schuld?
(GF5/5-1994)