Der Schlund
Der Schlund ist der Abgrund, der sich Ende der 90er Jahre in Deutschland auftut; ein Heer von Arbeitslosen und unzählige Asylwerber lassen alte und neue Rechte wieder nach mehr Ordnung, nach einfachen Lösungen, nach einem starken Mann suchen. Die Lorbachs und ihre vier Kinder (der schwarze Adopt ...
Der Schlund ist der Abgrund, der sich Ende der 90er Jahre in Deutschland auftut; ein Heer von Arbeitslosen und unzählige Asylwerber lassen alte und neue Rechte wieder nach mehr Ordnung, nach einfachen Lösungen, nach einem starken Mann suchen. Die Lorbachs und ihre vier Kinder (der schwarze Adoptivsohn Jirgalem, Gesa, aus deren Warte die Vorkommnisse geschildert werden, Ulf und die geistig behinderte Rike) erleben hautnah mit, wie Deutschland im Abgrund versinkt. Ein Teil der eigenen Familie (Großvater Geschner samt Anhang) sympathisiert mit den Rechten, Jobs gehen verloren, die Atmosphäre in der Schule wird beengter -vor allem aber wird das Leben für Jirgalem immer schwerer. Als eines Tages überlebensgroß Herr Schlott, der neue Diktator, im Leben der Deutschen auftaucht, wiederholt sich auf gespenstische Art die Geschichte: Jirgalem und Rike werden abgeholt, Herr Lorbach muss flüchten, die AIDS-kranke Corinna kommt in ein Lager, der homosexuelle Untermieter wird verhaftet. Wie einst greifen Gewalt und Terror um sich, Minderheiten werden systematisch ausgegrenzt oder vernichtet, 'Ruhe und Ordnung' werden über den Staatsterror sichergestellt.
Es wäre untypisch Gudrun Pausewang, gäbe es ein versöhnliches Ende; bei so viel Terror und privatem Leid kann die Welt nicht mehr zurechtgerückt werden. Immerhin, und auch das gibt es in manchen Pausewang-Romanen, bleibt ein Funken Hoffnung. Gesa will nicht aufgeben - und sie gibt nicht auf. Ob ihr Einsatz sich lohnt, bleibt offen. Wichtig ist, dass das Buch seine Leser/-innen mit der Botschaft entlässt: Auch DU kannst etwas für eine lebenswerte Welt tun.
Anfänglich habe ich das Buch mit Stirnrunzeln gelesen: Zu sehr hat Pausewang an all die Klischees gedacht, die einer gründlich-grünen-friedensbewegten deutschen Familie so eignen. (Es gibt auch im alternativen Bereich so etwas wie echten deutschen Biedersinn.) Zu schematisiert wirkten manche Figuren/Situationen, der/die Leser/-in wartet direkt schon darauf, dass auch noch AIDS mit hineinverpackt wird.
Aber allmählich beginnt die Geschichte zu fesseln, und Pausewang läuft zu ihrer alten Jugendbuchform (Schewenborn, Wolke) auf, sodass der Klappentext letztlich recht behält: "Ein aufrüttelnder Roman, der verhindern will, was er beschreibt." Wie etwa Rhues "Die Welle" hat "Der Schlund" das Zeug zum Klassiker. Warten wir ab, was unsere Schüler/-innen dazu zu sagen haben.
(GF4/1-1994)