Der Chronist der Winde

Mankell, allseits bekannt durch seine Wallander-Kriminalromane, hat auch eine Handvoll Jugendbücher geschrieben (siehe Archiv). Auch dieses Buch lässt sich unter Jugendromane einreihen, wenngleich es von Leserinnen und Lesern aller Altersstufen gelesen werden sollte.
Jos Antonio Maria Vaz, der ...

Mankell, allseits bekannt durch seine Wallander-Kriminalromane, hat auch eine Handvoll Jugendbücher geschrieben (siehe Archiv). Auch dieses Buch lässt sich unter Jugendromane einreihen, wenngleich es von Leserinnen und Lesern aller Altersstufen gelesen werden sollte.

Jos Antonio Maria Vaz, der sich der Chronist der Winde nennt, war einst Bäcker in einer Hauptstadt, in der die Häuser wie Affen die Hänge emporklettern. Er verbringt nun seine Tage damit, die Geschichte des 10-jährigen Straßenkindes Nelio immer wieder neu zu erzählen, denn er hat Nelio die letzten acht Nächte vor seinem Tod gepflegt, und zwar auf dem Hausdach der Bäckerei, die gleichzeitig das Theater der alten Dona Esmeralda war, der Tochter des einstigen Diktators des Landes.

Nach und nach erfahren wir mit Jos gemeinsam die Geschichte des kleinen Nelio, der, nach dem Gemetzel an seinem Stamm, die große Stadt aufsucht und dort als Anführer einer kleinen Straßenbande lebt. Wir erfahren auch, wie es zu den Schüssen gekommen ist, an denen er nun zugrunde geht - und damit erfahren wir auch vom Schicksal der anderen Straßenkinder in Nelios Bande.

Mankell, der bekanntlich in Maputo ein Theater leitet, hat vermutlich viel von seinen Erfahrungen in Mozambique in diesen Roman hineinverarbeitet, der im schwedischen Original bereits 1995 unter dem wesentlich beziehungsreicheren Titel Comdia infantil erschienen ist. Kein Wunder, dass ihm dieses Buch besonders am Herzen liegt, denn auf knappem Raum wird hier Sozial- und Revolutionsgeschichte ebenso wie die Geschichte persönlichen Leids, aber auch persönlicher Stärke geschrieben. Dabei kommt Mankell mit erstaunlich wenig von dem, was gemeiniglich Sozial- und Ethnokitsch genannt wird, aus.
Manche Schlenkerer sehe ich als Verbeugung vor dem magischen Realismus lateinamerikanischer Romane, manche Passagen sind klare Absagen an die intellektuelle weiße Welt und voll von dem Raunen, über das manche so gerne lesen (à la: Was gibt es nicht alles nachzudenken über die ganz simplen Dinge). Insgesamt jedoch liefert uns Mankell ein ziemlich leidenschaftsloses, klares und ungemein berührendes Bild von einer anderen Welt. Um also (junge) Leser/-innen aufzurühren, zu bewegen, in ihnen Mitleid und Verständnis zu erzeugen, sie gleichzeitig zum Nachdenken zu bewegen, ist dieser Roman sehr geeignet; obendrein ist er spannend und temporeich erzählt und voll interessanter Figuren. Daher als Fazit für jene, die nur den Schluss von Besprechungen lesen: Sehr empfehlenswert!

P.S. Für die Schule sei noch angemerkt, dass auf Grund der interessanten Erzähltechnik (gleichsam eine versteckte Ich-Erzählung), aber auch auf Grund der klaren Struktur (die einzelnen Nächte) - und nicht nur wegen des Inhalts - eine Behandlung im Plenum oder in Gruppen möglich ist, dass ein Wechsel von Vorlesen und Referieren möglich ist - kurzum, dass ein Einsatz als Klassenlesetext (mit einer Fülle von Anschlussarbeiten) sinnvoll erscheint.

 

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
01.07.2001
Link
https://rezensionen.schule.at/portale/rezensionen/julit-deutsch/fremde-laender/detail/der-chronist-der-winde.html
Kostenpflichtig
nein