Das Kartengeheimnis
Gaarders "Sofies Welt" entpuppt sich als Longseller, auch wenn es bisweilen vernichtend rezensiert wird (so geschehen im Observer im Jänner). Kein Wunder also, dass sich der neue Gaarder in den Buchhandlungen stapelt - nur für kurze Zeit natürlich, denn alle hoffen auf raschen Verkauf.
Was erwe ...
Gaarders "Sofies Welt" entpuppt sich als Longseller, auch wenn es bisweilen vernichtend rezensiert wird (so geschehen im Observer im Jänner). Kein Wunder also, dass sich der neue Gaarder in den Buchhandlungen stapelt - nur für kurze Zeit natürlich, denn alle hoffen auf raschen Verkauf.
Was erwerben die Neugierigen? Gleich vorneweg, der neue Gaarder ist ein alter, will heißen, er ist vor "Sofies Welt" erschienen. Angeblich wurde Gaarder nach dem "Kartengeheimnis" gebeten, den philosophischen Erzählstrang, den er hier einflicht, zu vertiefen: Sofie war geboren.
Womit wir auch schon bei der Handlung, besser den Handlungssträngen, von "Das Kartengeheimnis" sind. Ein zwölfjähriger Junge, Hans-Thomas, fährt mit seinem Seemanns-Vater, der zum Trinken und Philosophieren neigt, von Südnorwegen nach Athen, um seine Mutter zu suchen, die vor acht Jahren die Familie verlassen hat, um sich selbst zu finden. Unterwegs geraten sie in ein Dorf namens Dorf, wo ein geheimnisvoller Bäckermeister dem Jungen ein Rosinenbrötchen gibt, in dem ein winziges Buch verborgen ist, das die Geschichte eines Schiffbrüchigen erzählt, der vor fast zweihundert Jahren mit einem Patience-Spiel, das zum Leben erwacht, auf einer Insel strandet. Dies ist aber nur der Beginn der krausen Handlung um die Karten, den Joker, die Bäckermeister aus Dorf, den Großvater des Jungen, der Suche nach dem Herz-As, den Goldfischen, Getränken und Geheimnissen aller Art. Im Brötchenbuch wird uns eine zweihundertjährige Geschichte erzählt, deren Fäden alle in der Gegenwart zusammenfließen, sodass wieder einmal illustriert wird, dass das, was wir sind, lange vor uns begonnen hat.
Gaarder geht gewiss nach bewährtem Muster vor: gewiefte Leser/-innen sind Hans-Thomas natürlich immer um ein paar Denklängen voraus. Auch Karten als Lebewesen sind ihnen vertraut (von Carroll bis zur fantasy), die Figuren des Joker, des weisen alten Mannes, des Schiffbrüchigen, des Zurückgezogenen sind alle ein bisschen wohlig vertraut und bevölkern das Buch recht angenehm. Der altkluge Junge und sein Vater sind liebe- und humorvoll gezeichnet, und auch für verschiedene 'Botschaften' (des Dichters nämlich) ist gesorgt. "Ach - wir Bäcker in Dorf sind alle Joker, die eine phantastische Geschichte weitertragen. [...] Aber wie alle Joker - in großen wie in kleinen Patiencen - müssen wir den Menschen erzählen, was die Welt für ein unbegreifliches Abenteuer ist."
Gaarder müht sich redlich, und das Buch, klug konstruiert und sprachmächtig obendrein, ist durchaus angenehm zu lesen. Mir selbst hat es die ganz normale Reise von Arendal nach Athen am meisten angetan; die magische zu den Karten und der Vergangenheit bleibt leider ein bisschen so wie eben Spielkarten sind: papieren! Was die Philosophie betrifft, so kommt sie hier noch kauzig-verspielt einher, während sie in "Sofies Welt" schon dahertrümmert. Und was das durchaus amüsante Verwirrspiel betrifft, so lasse ich mich lieber durch die "Elixiere des Teufels" verwirren. Aber das tut nichts zur Sache, denn Gaarder wird "Ab 13" empfohlen, und wer noch einigermaßen unbelastet an das Buch herangeht, wird es sicher atemloser lesen als ich. Lesen sollte man es auf jeden Fall.
(GF7/4-1995)