Das Jahr, in dem ich 13 ½ war
Als Kind hat man mich ja voll gestopft mit Büchern wie "Die Lausbuben des lieben Gottes" oder mit Erzählungen von tapferen Ministranten, die den Sansculotten trotzen, oder charakterstarken Buben, die keinen Herz-Jesu-Freitag versäumen wollten. Heutzutage kommt Religion natürlich viel cooler dahe ...
Als Kind hat man mich ja voll gestopft mit Büchern wie "Die Lausbuben des lieben Gottes" oder mit Erzählungen von tapferen Ministranten, die den Sansculotten trotzen, oder charakterstarken Buben, die keinen Herz-Jesu-Freitag versäumen wollten. Heutzutage kommt Religion natürlich viel cooler daher, noch cooler als der Trick mit der Jazz-Messe.
Tine ist 13 ½ und lebt mit Mutter, Mutters neuem Partner Carsten, ihrer 17-jährigen Schwester Melle und der kleinen Schwester Maria in einer gemütlich-kleinen Wohnung in Leipzig. So weit, so gut – bis sich herausstellt, dass Carsten praktizierender Christ ist und das irgendwie auch in der bislang religionsfernen Familie wieder finden möchte. Mutter geht also in die Mette mit – es gefällt ihr. Die Mädchen hingegen wehren sich gegen die Vereinnahmung.
Überhaupt hat Tine jede Menge anderer Sorgen. Die große Schwester zieht es fort von zu Hause, Tine scheint – trotz Hilfe ihrer Freundin Ulli – am Gymnasium zu versagen, und ihre neue Freundin Manu (ein irakisches Mädchen, um zwei Jahre älter) hat ein Verhältnis mit dem Sportlehrer. Tine ist wenigstens in ihrer Großfamilie gut aufgehoben, aber all diese Geheimnisse und Belastungen setzen ihr doch sehr zu. Da ist die Gretchenfrage ein bisschen nebensächlich, aber sie taucht doch immer wieder auf, zumal die Großeltern sich auch als gläubig entpuppen.
Als Tine nicht mehr weiter weiß, bleibt ihr eigentlich nur der Weg zu einer Pfarrerin, die nicht nur ein Geheimnis bewahren kann/muss, sondern auch sonst Rat weiß, obzwar es natürlich kein Ende geben kann, das alle zufrieden stellt.
Thiel ist selbst Jugendpfarrerin und kreist ihr Thema subtil ein. Und genau das ist es eigentlich, was mich an dem Buch stört: das Subtile. Wenn dem Großvater die Erklärungen ausgehen, rekurriert er auf Gott und seine Schöpfung, wenn Tine nicht mehr weiter weiß, findet sich doch noch geistlicher Beistand, wenn Carsten auch manchmal übellaunig ist, so bleibt er doch der fröhliche Christ, und wenn die Lehrer/innen versagen, so scheint es doch für eine Minderheit ein cooles Fach, nämlich Religion, zu geben. Und selbst Manu spricht ehrfürchtig von diversen Seelsorge-Gruppen.
So viel Coolness scheint mir eben bewusst gemacht, und das ist im Grunde natürlich zulässig, wenn auch nicht unbedingt sympathisch. Dass aber das Buch mit dem Härtling-Preis ausgezeichnet wurde, darf doch ein bisschen wundern. Ich stimme also nicht in den Chor der mehr oder weniger enthusiastischen Rezensentinnen und Rezensenten ein. Da gefällt mir ein Buch wie Aidinoffs "The Garden" (s. Archiv/YAN), in dem Adam und Eva im Garten Eden auf liebvoll-ironische Weise dargestellt werden, doch ungleich besser.
Beltz&Gelberg 2007