Dieda oder Das fremde Kind
Ursel wird aufs Land geschickt, da die Situation in Wien immer gefährlicher wird. Der Zweite Weltkrieg neigt sich offensichtlich dem Ende zu, Ursels Vater ist Arzt und im Dauereinsatz, Ursels Stiefmutter erwartet ein Kind.Das ist alles zu viel für das kleine Mädchen, noch dazu, wo ...
Ursel wird aufs Land geschickt, da die Situation in Wien immer gefährlicher wird. Der Zweite Weltkrieg neigt sich offensichtlich dem Ende zu, Ursels Vater ist Arzt und im Dauereinsatz, Ursels Stiefmutter erwartet ein Kind.
Das ist alles zu viel für das kleine Mädchen, noch dazu, wo sie sich ungeliebt und nicht willkommen fühlt in ihrer neuen Bleibe. Sie selbst wird zur Dieda, offenbar auch als Belastung empfunden und ist – laut Erwachsenen – mit der entsprechenden Härte anzufassen. Obwohl die Buben im Haus ihr gegenüber nicht besonders unfreundlich sind, verstärkt Dieda jedes Zeichen der Abneigung und Lieblosigkeit und beginnt bald die Erwachsenen, mit denen sie zu tun hat, zu hassen. "Die Frau" ist zwar manchmal ganz nett, aber "der Alte", den sie Großvater nennen soll, ist nicht nur ihr, sondern auch uns unsympathisch, weil er ein unverbesserlicher Nazi ist. Dieda, so sehr an den Rand gedrängt und auch tatsächlich benachteiligt, sucht sich selbst zu dämonisieren, glaubt gar, eine Hexe zu sein. Es dauert einige Zeit (das inkludiert auch das Kriegsende und die Rückkehr nach Wien), bis Dieda sich wieder in Ursel verwandeln kann.
"Sie ist in einer schwierigen Phase" würden wohl die Erwachsenen, die mit dem Mädchen zu tun haben, sagen. Der Tod der Mutter, das neue Baby der Stiefmutter, die ungewohnte Umgebung, die Lieblosigkeit, der unsympathische 'Großvater' – welches Kind sollte da nicht verbohrt und verstockt reagieren? Welsh hat dieses Sich-Zurückziehen, dieses Sich-und-alles-Hassen, das sich selbst nährt, ohne große Gesten, aber nicht minder nachhaltig und sie hat – wie so oft – ein bisschen Politik und Geschichte ins private Schicksal hineingemischt. Im Tonfall greift sie dabei auf ihren Bestseller "Johanna" zurück, womit "Dieda" auf jeden Fall zur Pflichtlektüre wird.