Child 44

Meines Wissens ist der knapp dreißigjährige Smith der erste Autor, der es mit einem Thriller auf die Booker Longlist schafft. Und was für ein Thriller! Da können Stuart Kaminskys Rostnikov und Martin Cruz Smiths Renko glatt verblassen, aus dem einfachen Grund, weil Smith seinen Roman in der spät ...

Meines Wissens ist der knapp dreißigjährige Smith der erste Autor, der es mit einem Thriller auf die Booker Longlist schafft. Und was für ein Thriller! Da können Stuart Kaminskys Rostnikov und Martin Cruz Smiths Renko glatt verblassen, aus dem einfachen Grund, weil Smith seinen Roman in der spätstalinistischen Ära (den 50er-Jahren) ansiedelt.

Damit engt er den Wirkungskreis seines Vorbilds, Andrei Chikatilo (The Butcher of Rostov) deutlich ein. Chikatilo, der 56 Morde an Frauen und Kindern begangen hatte, wurde 1994 hingerichtet. Diese Geschichte aber ist vorwiegend zu einer Zeit angesiedelt, da es Verbrechen von Serienmördern schlichtweg nicht geben durfte, denn der neue Sowjetmensch wäre dazu nicht fähig. Konsequent weigern sich Miliz und MGB (eine Vorläuferorganisation des KGB) daher, die Fälle miteinander zu vernetzen. Es ist der unermüdlichen Arbeit des degradierten MGB-Offiziers Leo Demidov (und seiner Frau Raisa) zu verdanken, dass der Fall (der hier auch einen persönlichen Erzählfaden erhält) überhaupt zur Kenntnis genommen wird. Leo wird von Moskau nach Voualsk (am Ural) versetzt und versucht von dort, seine Theorie vom Serienmörder zu beweisen.

Serienmörderromane gibt es zuhauf, aber es gibt kaum einen Ermittler, der unter solch hoffnungslosen Umständen einen Fall lösen muss, zumal das Konzept des Serienmordes gar nicht existiert. Unzählige 'cliffhanger', bei denen man meint, so viele widrige Umstände gäbe es nie und nimmer, machen das Lesen zum nägelkauenden Ereignis.

Was Smith aber wirklich exzellent vermittelt, ist der Terror, der unter Stalin herrschte. jede Aktivität war verdächtig, die, denen man traute, musste man besonders oft überprüfen, jede Kleinigkeit konnte das Eingeständnis einer Schuld sein. Und wo keine Schuld vorlag, ließ sie sich leicht erzeugen; Geständnisse (und weitere Listen von Verdächtigen) folgten auf dem Fuß.

Für die Darstellung dieses Terrors, für dieses Grauen, das jenes der Morde mühelos übertrifft, gebührt Smith sein Platz auf der Longlist. Dass er dabei einen ausgezeichneten Thriller liefert, kann uns doppelt freuen.

London: Simon and Schuster 2008

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
04.11.2008
Link
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