Cell
Es freut mich zu lesen, dass ich mit Stephen King etwas gemeinsam habe: Wir besitzen beide kein Handy – eine gute Idee, wenn man bedenkt, worum es in seinem neuen Roman geht.
Am ersten Oktober, so gegen 15h, spielt die Welt verrückt; über Handys wird ein Signal an alle Telefonierer vermittelt ( ...
Es freut mich zu lesen, dass ich mit Stephen King etwas gemeinsam habe: Wir besitzen beide kein Handy – eine gute Idee, wenn man bedenkt, worum es in seinem neuen Roman geht.
Am ersten Oktober, so gegen 15h, spielt die Welt verrückt; über Handys wird ein Signal an alle Telefonierer vermittelt (woher?), das ihre Festplatten (sprich Gehirne) löscht - bis auf den aggressiven Teil. In einer gelungenen Anfangssequenz wird der Held der Geschichte, der Zeichner Clayton Riddell, Zeuge, wie ein junges Mädchen durchdreht.
Clay und ein paar weitere Leute (Tom, Alice) verlassen Boston und machen sich auf den Weg nach Norden, Clay, geplagt von Träumen, auf der Suche nach Frau und Kind. Die Welt (oder besser Maine) ist inzwischen in zwei Gruppen zerfallen: die "normies" und die "phoners". Letztere rebooten sich sozusagen, sind mobil und verständigen sich per Telepathie. Immer wieder taucht ein Anführer, "the Raggedy Man" auf. Es kommt natürlich zu einem Showdown – und einem offenen Ende, aber von beiden sei hier nichts verraten.
Das klingt nach vielen Vorbildern: Zuerst einmal kommt einem natürlich Kings "The Stand" in den Sinn; und im Vergleich zu diesem apokalyptischen Roman wirkt "The Cell" leider wie ein Aufguss; obwohl die Grundidee (Handy sendet Signal aus) natürlich genial ist. Diese plötzliche Bedrohung und die Masse der gleichsam Leblosen ist zweifellos eine Verbeugung vor den Zombie-Filmen (the Raggedy Man lässt nicht nur an Flagg aus "The Stand" denken, sondern auch an den Anführer in "Land of the Dead"); nicht umsonst ist das Buch zwei Größen gewidmet, die hier bahnbrechend wirkten: Richard Matheson, der mit "I Am Legend" einer der ersten war, die die Umkehrung der Verhältnisse beschrieben haben; und George A. Romero, der diese Umkehrung filmisch in seinen Zombie-Filmen fortgesetzt hat.
King hat nach wie vor ein gutes Auge für Details, ein gutes Ohr für Dialoge, aber irgendwie scheint seine Zeit abgelaufen; am auffälligsten ist noch, dass sich seine vielen Großbuchstaben-Wörter in Klammer nun zu fettgedruckten Lettern entwickelt haben – aber eine wirklich neue Geschichte erzählt er uns nicht. (Die Suche nach Frau und Kind erinnert ja auch fatal an die Spielberg-Variante von "War of the Worlds".) Klar, er schreibt nach wie vor eine exzellente blutrünstige Szene, aber das haben andere mittlerweile auch (von ihm?) gelernt. Das heißt also: King-Komplettisten werden das Buch sicher lesen; aber wer King kennen und schätzen lernen will, der greift besser doch gleich zum "Stand."
P.S. Sehr schön hingegen ist der Vorabdruck der handschriftlichen Fassung seines nächsten Romans. Schreibt der Mann wirklich so oder ist das eine Reinschrift? Sehenswert.