Bag of Bones

"Schreibt Stephen King am eigenen Mythos? Wie viele Alter egos will er für künftige Kritiker und Literaturwissenschaftler entwerfen? Tanzt er am Rande des Vulkans, weil er seine Fans immer wieder enttäuscht und gleichzeitig in seinen Bann zieht?"Bag of Bones" hat als Ich-Erzähler wieder einmal e ...

"Schreibt Stephen King am eigenen Mythos? Wie viele Alter egos will er für künftige Kritiker und Literaturwissenschaftler entwerfen? Tanzt er am Rande des Vulkans, weil er seine Fans immer wieder enttäuscht und gleichzeitig in seinen Bann zieht?
"Bag of Bones" hat als Ich-Erzähler wieder einmal einen Schriftsteller, nämlich Mike Noonan, Mitte 30, Verfasser von jährlichen Bestsellern (Schauerromanzen). Und wieder einmal leidet der Schriftsteller unter writer's block (auch so eine alte Obsession! Stark aus "The Dark Half" wird sogar erwähnt) - diesmal ausgelöst durch den plötzlichen Tod seiner Frau Jo. Mike versucht (über 100 Seiten) mit dem Verlust fertig zu werden. Seine Träume locken ihn in das gemeinsame See-Sommerhaus, genannt "Sara Laughs". Dort findet er alsbald heraus, dass er nicht allein ist. Die Geister der Toten (nicht zuletzt der seiner Frau Jo) ziehen ihn in ihren Bann. Aber auch die Lebenden tun dies; er lernt Mattie Devore (21) und ihre dreijährige Tochter Kyra kennen und lieben. Mattie befindet sich in einer schwierigen Situation - sie kämpft mit ihrem alten und mächtigen Schwiegervater Max Devore um das Sorgerecht für Kyra. Als Mike beschließt, ihr zu helfen, und einen Anwalt engagiert, löst er eine Kette von (unheimlichen) Ereignissen aus, die bis zur Jahrhundertwende zurück führen und ein Verbrechen ans andere reihen.
Wie macht das der King? Die ersten hundert Seiten beschäftigen sich vorwiegend mit Mikes Schmerz und Untätigkeit - gekonnt geschrieben, aber keineswegs das Material, aus dem die Bestseller sind. Und dann, fast unmerklich, hebt das Buch ab - King verlässt den Alltag, in kleinen Schritten zuerst, um uns schließlich nicht nur zu einem Roman über alte Schuld, sondern zu einer Geistertour de force zu führen, bei der es fast unmöglich ist, das Buch aus der Hand zu legen. Ein anderer scheitert spätestens bei der Hälfte, King kriegt es wieder einmal hin, sofern Sie ein bisschen willing suspense of disbelief mitbringen. Es ist natürlich die alte Mischung von perfekter Kleinstadt-Darstellung und seltsamen Mächten, und auch wenn die (dekonstruierte) Geschichte von "Bag of Bones" schon unzählige Male erzählt worden ist, so ist es die gelungene Einbettung in einen sehr überzeugend dargestellten Alltag, die Kings Meisterschaft ausmacht. Obendrein bringt er seine und unsere realen Ängste immer so geschickt unter, dass wir nicht umhin können, ihm auf den Erzählleim zu gehen.
Es mag Leute geben, die sich dem entziehen können; ich gehöre nicht dazu. Zwei Tage lang habe ich King verwünscht, weil er mir keine Zeit für anderes gelassen hat. "

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
01.07.2001
Link
https://rezensionen.schule.at/portale/rezensionen/newsletter-fuer-englisch/thriller/detail/bag-of-bones.html
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