Schon lange bevor ich den Film "Siberiade" gesehen habe, wollte ich nach Sibirien reisen; kein Wunder also, dass dieses Buch Pflichtlektüre für mich war. Nun, nachdem ich mich durch Kälte und Schrecken (nicht nur des Eises, sondern auch menschlicher Finsternis) gekämpft habe, scheint mir mein Sibirien-Projekt in weite Ferne gerückt. Wie ohne Sprache das Land erkunden? Wie ohne Reisegruppe, Reiseleitung?

Thubron ist ein Reiseprofi, und er versucht das Phänomen Sibirien zu erkunden; gleich vorweg: Es gelingt ihm nicht. Wir verlaufen uns mit ihm, und trotz mancher aufwühlender und berührender Stellen bleibt das Buch seltsam kalt, wenn Sie mir dieses schlechte Wortspiel verzeihen. "I was trying to find a core to Siberia, where there seemed none" (84), heißt es einmal. Und an anderer Stelle: "I wanted some unity or shape to human diversity. But instead this land had become diffused and unexpected as I travelled it." (137)
Mir erging es beim Mitreisen ebenso; unentwegt musste ich auf der Karte nachsehen, wo wir uns wohl gerade befanden, zu eintönig wurden Thubrons - nein! nicht Erlebnisse, sondern Darstellungen. Er nimmt uns mit von Yekaterinburg nach Omsk, Novosibirsk, Akademgorok; wir fahren in die Altai-Region und machen dann einen Abstecher nach Dudinka. Wir erleben den Baikalsee und die Grenzregion zur Mongolei. Weiter geht es nach Khabarovsk, Yakutsk und schließlich in die Gegend von Magadan, wo unter Stalin zahllose Menschen ihr Leben lassen mussten.
Am erschütterndsten dabei sind die Begegnungen mit jenen Menschen, die Furchtbares durchgemacht haben und sich dennoch nicht betrogen wissen wollen. Die Städte hingegen bleiben leer: breit angelegt, windig und schneeverweht. Aber vielleicht ist es doch das Nicht-Fassbare, das mich irgendwann nach Sibirien bringen wird, den geheimnisvollen Ort, wo die Welt ausgefranst ist und das Leben verglimmt.