Handbuch zur Schulentwicklung
Endlich stimmt's, was der Klappentext sagt: ein Standardwerk. Nach einigen Büchern, die für meinen Geschmack zu voll der pädagogischen Betroffenheit und emotional correctness waren, liegt hier ein Buch vor, das ich mit ungeheurem Interesse gelesen habe und bei dem ich mir schon während des Lesen ...
Endlich stimmt's, was der Klappentext sagt: ein Standardwerk. Nach einigen Büchern, die für meinen Geschmack zu voll der pädagogischen Betroffenheit und emotional correctness waren, liegt hier ein Buch vor, das ich mit ungeheurem Interesse gelesen habe und bei dem ich mir schon während des Lesens das Wiederlesen vorgenommen habe. Da will ich gar nicht von den Stellen reden, die ich markiert, kopiert, weiterverbreitet und mit Fragezeichen versehen habe; da will ich gar nicht von den vielen Kreuzerln reden, die ich bei den Literaturverzeichnissen (x heißt: muss ich unbedingt kaufen und lesen) gemacht habe; da lasse ich den Inhalt zahlreicher Diskussionen mit meiner Frau zum Thema unerwähnt; und da spreche ich nicht von den Empfehlungen, die ich für das Buch schon abgegeben habe (und abgeben werde).
Das "Handbuch für Schulentwicklung" ist in mehrfacher Hinsicht ein gewichtiger Band: umfangreich, schwer, bisweilen schwierig, anregend, aufregend, geeignet zum Nicken und zum Kopfschütteln, angetan abzuschließen und aufzubrechen. Wer sich ernsthaft für (oder auch sozusagen gegen) Schulentwicklung interessiert, der wird an diesem Buch nicht vorbei können, denn den Herausgebern ist es gelungen, den Großteil derer, die sich einen Namen in diesem Bereich gemacht haben (oder machen wollen) zu versammeln. (Wobei ich hier mit einem kleinen Schlenkerer vermerken muss, dass die Namen vorwiegend von Männern zwischen 45 und 60 sind, und dass sich unter den 21 Namen nur drei Frauennamen finden. Es scheint aber immerhin, als hätte die institutionalisierte Erziehungswissenschaft endlich ein profitables Betätigungsfeld gefunden.)
Ich selbst habe vor allem den ersten Teil ("Akteure, Prozesskomponenten und Gestaltungsformen") besonders geschätzt, da er fundierte, klare und bereichernde Aufsätze zu Themen wie Change Management, Schulprogramme, Teamentwicklung, Organisationsdiagnose, Administration und Reflexion enthält. Lassen Sie mich hier nur einen Beitrag als Beispiel herausheben: Altrichters "Reflexion und Evaluation in Schulentwicklungsprozessen" wird wohl für jede Steuerungsgruppe, die sich mit (Selbst)Evaluation auseinandersetzen wird, zur Pflichtleküre werden müssen. Und dass an den Arbeiten von Rolff, Schley und Schratz etwa kein Weg vorbeiführt, zeigt sich in allen angefügten Literaturverzeichnissen (nicht zuletzt, weil der eine den andern mit Lust zitiert).
Mit mehr Fragezeichen, Widersprüchen und unmittelbarer Selbstreflexion liest sich der zweite, der gleichsam praktischere Teil ("Entwicklungsaufgaben: Reformimpulse und neue Anforderungen") - und das ist gut so, denn er hebt den ersten Teil auf die Ebene der 'Verbindlichkeit', sprich auf jene Ebene, wo wir als PraktikerInnen gezwungen sind, unser eigenes Handeln zu reflektieren. Dabei zeigt sich m. E. doch, dass es für jene, die den zermürbenden (?) Alltag kennen, schwierig ist, sich all den Wünschen und Anforderungen zu stellen. Das "Handbuch" ist weitgehend frei von 'lieblichen' Ansichtskarten aus der pädagogischen Provinz, aber wenn sie wo verschickt werden, dann im 2. Teil. So scheint mir etwa, dass Gogolin in ihrem Beitrag über Interkulturalität genau denselben 'Fehler' begeht, den sie an einer Lehrerin moniert: Jene Lehrerin unterrichtet mit deutschem Sprachgefühl Adjektiva und ist nur schwer von ihrem vorgefassten Konzept abzubringen. Gogolin extrapoliert dieses Beispiel auf Teufel-komm-raus und ist nur schwer von ihrem begrenzten Blick auf die Wirklichkeit abzubringen. Oder aber nehmen Sie den Beitrag von Schratz-Hadwich über feministische Schulentwicklung. Mir als Rezensentem lässt ja ein solcherart immunisierter Beitrag wenig Chance, daher zähl ich gar nicht die Fragezeichen ab, die ich gemacht habe. Oder nehmen Sie, was Hameyer sich alles vom Unterricht wünscht - da müssen die Nicht-Wunderwuzzis von resignativen Gefühlen beschlichen werden...
Dennoch: Sehen Sie all die praktischen Anforderungen mit Augenmaß; folgen Sie Hentig bei den großen Zielen und den kleinen Schritten. Lassen Sie sich durch den 2. Teil zu Widerspruch und Zustimmung anregen und picken Sie sich immer wieder Rosinen heraus. Handbücher sind ja per definitionem umfassend.
Das meinen die Herausgeber auch in ihrer (fast ein bisschen zu lyrischen) Einleitung. Das Buch will Bewusstsein schaffen und als Handwerkszeug nützlich sein. Für beides gibt es Höchstnoten, und ich kann mir schwer vorstellen, dass es eine Schule gibt, die auf dieses Buch verzichten wird.