Die Lernende Schule. Arbeitsbuch pädagogische Schulentwicklung
"Entgegen allen Konventionen, die die neue Feedback-Kultur propagiert, beginne ich mit der Kritik und hebe mir das Lob noch etwas auf, nicht zuletzt deswegen, weil ich furchtbar lange gebraucht habe herauszufinden, was mich an dem vorliegenden Buch gestört hat. War es die allzu mundhappengerecht ...
"Entgegen allen Konventionen, die die neue Feedback-Kultur propagiert, beginne ich mit der Kritik und hebe mir das Lob noch etwas auf, nicht zuletzt deswegen, weil ich furchtbar lange gebraucht habe herauszufinden, was mich an dem vorliegenden Buch gestört hat. War es die allzu mundhappengerechte Aufbereitung? War es der Arbeitsbegriff (da wird immer intensiv an der Aufarbeitung von irgendwas gearbeitet)? War es die plötzliche Betroffenheit von Lehrern und Lehrerinnen (gleich auf Seite 14)? War es das heute schon selbstverständliche Einarbeiten von fuzzy logics und fraktalem Denken? (Schade, dass the theory of randomness fehlt.) Oder war es die Tatsache, dass viele Beispiele dann abbrechen, wenn's heikel wird – sei's beim schwierigen Schüler, den vielen Fehlstunden oder dem – man verzeihe mir die Abqualifizierung – läppischen Bildungsvertrag auf Seite 219.
Mitnichten! All das gehört zur praxisorientierten pädagogischen Literatur. Wenn das Alltagsereignis verschriftlicht und auf eine allgemeinere Ebene gehoben wird, passiert es notwendigerweise, dass ein gewisses Quantum an Travestie hineinrutscht. Und dass verschriftlichte Pädagogik auf Staunen, Interesse, Neugierde, Betroffenheit, von mir aus auch Skepsis, Resignation und dgl. angewiesen ist, lässt sich im letzten Jahrzehnt mit Deutlichkeit verfolgen. So weit, so gut, so professionell.
Was mich, so meine ich jetzt, einige Wochen nach der Lektüre, am deutlichsten störte, war jener Faktor, den ich emotional correctness nennen möchte. Dass das Buch politically correct ist, versteht sich von selbst, und ich sage das ohne Ironie. Dass aber gleichzeitig eine Stimmung mittransportiert wird, die die Engländer salopp feelie&touchie stuff nennen, bei der man das Gefühl (sic!) hat, dass niemand irgendwann irgendwie einmal sozusagen die Sau rauslassen darf, entspricht einer Vorsichtspädagogik, die als unausgesprochene Prämisse hat: Ich versteh alles und mit mir kann man über alles reden. Das ist ja nun nicht schlecht, mag man meinen, wenn nicht gleichzeitig damit signalisiert wird: Einen echten Freiraum, meine lieben Jugendlichen, gibt's für euch heut' nimmer, denn überall lauern die PädagogInnen, die, sensibilisiert und offen, allesallesalles verstehen.
So – nachdem ich mir dies vom Herzen geschrieben habe, kann ich vom Hirn aus Folgendes sagen: In diesem Buch gibt es tatsächlich eine Fülle an Material und Ideen zu entdecken, die, je nach Wissensstand, Zusammenfassung, Anregung oder gar eye-openers sein können.
Nach einer Eingrenzung des Gegenstandes folgt ein Abschnitt, der sich mit der Frage, woran eine Lernende Schule zu erkennen ist, auseinandersetzt. Nehmen Sie ihn nicht als Vademecum, sondern setzen Sie sich, am besten in der vielbeschworenen Kleingruppe, mit den sieben Axiomen der Lernenden Schule auseinander, die im Prinzip Selbstreflexion und positive Veränderungen initiieren. Im nächsten Kapitel wird Schule aus systemischer Sicht behandelt (sehr interessant!); es folgen Einheiten über Innovation, Konflikt, Programmatisches und Evaluation. All diese Abschnitte sind mit vielen Beispielen, Übersichten, Verweisen angereichert und auch optisch entsprechend aufgelockert. Besonders möchte ich auf den Abschnitt über den Innovationswürfel hinweisen, den ich für ein sehr brauchbares Analyseinstrument für den schulischen Alltag halte. Nehmen Sie etwa die Auseinandersetzung um die Fünf-Tage-Woche. Mit dem Innovationswürfel können Sie sehr genau feststellen, wo sich Ihre Schule innerhalb der Begriffspaare Zug-Druck, Innen-Außen, bottom up-top down gerade befindet; der entsprechenden Diagnose kann dann die passende "Therapie" folgen. Ein sehr gelungener Abschnitt ist meines Erachtens auch jener über den Umgang mit Konflikten im Schul(entwicklungs)alltag.
Überdies finden Sie im Buch immer wieder (Selbst)Einschätzungsübungen, die sich als sehr hilfreich erweisen können und obendrein die Teste-dich-selbst-Ecke diverser Zeitschriften seriös simulieren. Natürlich werden Sie dabei, so wie ich, merken, dass viel von dieser Welt offensichtlich in Quadranten oder zumindest entlang der xy-Achse abhandelbar ist. So lässt sich meine Reaktion auf die emotional correctness natürlich leicht in einen Quadranten einordnen, und genaugenommen ist es egal, wie ich auf das Buch reagiere, denn ich bin gleichsam in einer no-win-situation. Was immer ich mir (Un)Originelles einfallen lasse, es findet sich dafür eine xy-Achse im Buch.
Nichtsdestotrotz – und ich sage das hier für diejenigen, die immer nur die ersten drei Zeilen und den letzten Absatz einer Besprechung lesen: Stellen Sie ein paar Exemplare von der "Lernenden Schule" in die Bibliothek Ihrer Schule. Warum ein paar? Weil es ein Arbeitsbuch ist und von möglichst vielen gleichzeitig gelesen werden sollte, damit sie auch gemeinsam diskutieren und interagieren (wie auch immer) können. Und weil Sie mit dem vorliegenden Band ein textbook für Schulentwicklung haben, die uns - als Zauberwort und Realität – sicher noch einige Zeit begleiten wird, zumal das Neudenken der Schule in der Lernenden Schule (in der "Lernenden Schule") ja schon konzeptuell verankert ist."