Im Mai 1996 habe ich bereits auf Donna Leon hingewiesen, und Sie können ihre Bücher natürlich gar nicht übersehen haben. Der fünfte Brunetti-Krimi führte lange genug die hiesigen Bestseller-Listen an; auch der vorliegende sechste Fall wird das tun.
Commissario Brunetti ermittelt diesmal im wohltätig-religiösen Milieu Venedigs. Als Maria Testa, einst Suor 'Immaculata, zu ihm kommt, weil sie Verdächtiges in der casa di cura bemerkt, beginnt ein langer und mühsamer Weg zur Wahrheit. Brunetti stößt natürlich auf eine Mauer des Schweigens, vor allem dann, als sich herausstellt, dass auch das Opus Dei in die kriminellen Vorgänge verwickelt ist. Dass gleichzeitig noch ein kinderschändender Priester unschädlich gemacht werden muss, ist des Guten (oder Bösen) fast zu viel. Wie immer bei solch (religions)politischen Verwicklungen kann es nur Teilerfolge geben, aber was Leons Romane nach wie vor lesenswert macht, auch wenn sie nach einem Erfolgsrezept gestrickt werden, ist die Präsenz der kleinen Gesten. Wie ein Commissario seinem Vorgesetzten begegnet, mit welchen Gesetzen italienischer Höflichkeit und Verstellungskunst zu rechnen ist, was eine Kopfbewegung alles aussagen kann, das ist bei Leon immer noch vorzüglich geschildert. Den Krimi als Sittenbild hat sie also fest in der Hand - dieser ist für italienische Verhältnisse obendrein auch noch erfrischend antiklerikal, auch wenn er sich für uns manchmal an der Grenze zur Verschwörungstheroie bewegen mag.
Für Ihre Weihnachtsferien durchaus zu empfehlen!