Until I Find You

Im Grunde habe ich John Irving immer gemieden (es müssen ja ein paar Vorurteile möglich sein), aber eine lange Reise und die Aussicht, wieder einmal einen umfangreichen Roman zu lesen, haben mein Vorurteil schwinden lassen – und rückblickend darf ich sagen: wie erfreulich!
Und ich sage das nich ...

Im Grunde habe ich John Irving immer gemieden (es müssen ja ein paar Vorurteile möglich sein), aber eine lange Reise und die Aussicht, wieder einmal einen umfangreichen Roman zu lesen, haben mein Vorurteil schwinden lassen – und rückblickend darf ich sagen: wie erfreulich!

Und ich sage das nicht, weil ich finde, Irvings neuester Roman ist großartige Literatur – dazu ist er bisweilen so geschwätzig wie sein Protagonist Jack Burns, der an melancholischer Logorrhö leidet, wie er einmal meint, dazu ufert das Buch vielleicht doch zu sehr aus; aber was Irving zuwege bringt (und das tut er offensichtlich auch in anderen seiner Romane), ist ein eigenes Universum erschaffen, in dem wir uns neugierig und ziemlich mühelos bewegen.

Teil dieses Universums ist die Welt der Tattoo-Künstler/innen. Jacks Mutter Alice ist eine anerkannte Tattooistin, die ihrem Ehemann, dem Organisten William, der sie verlassen hat, nachreist. Wohin auch immer sie mit dem kleine Jack kommt – Kopenhagen, Helsinki, Stockholm, Amsterdam – William ist schon wieder fort, angeblich unter Zurücklassung gebrochener Herzen und schwangerer Mädchen.

Jack wächst in Internatsschulen in Kanada und Neuengland auf, und schon in jungen Jahren interessieren sich Mädchen für den zweiten Protagonisten des Romans: Jacks Penis. Der wird im Laufe der 800+ Seiten ergiebig verwöhnt und malträtiert. Verwöhnt vor allem von Jacks Seelengefährtin, Emma, die später einen erfolgreichen Roman veröffentlichen wird, den Jack später… (Sie sehen schon!), malträtiert vor allem von Mrs Machado aus der Ringkampfschule, die den jungen Jack missbraucht.

Der Roman, der mit dem vierjährigen Jack 1969 beginnt, führt uns durch sein Leben bis zur Gegenwart. Jack wird ein erfolgreicher Hollywood-Schauspieler, allerdings, wegen seines femininen Aussehens, vorwiegend in Transvestiten-Rollen. Gegen Ende nähert sich Jack wieder seiner Vergangenheit – und muss feststellen, dass seine Mutter ihn nach den Wahrheiten ihrer Welt erzogen hat. Jack trifft auf Halbschwester und Vater – und nach all den Wirren zeichnet sich ein versöhnlerisches Dasein ab. Das aber soll nicht stören, denn was wir inzwischen erleben, wird hier nur ganz ungenügend wiedergegeben. Mehr als 100 Charaktere bevölkern den Roman, mehr als eine Handvoll Romane stecken in dem Roman. Irving erzählt so viele Geschichten, dass einem ganz angenehm schwindelt und man sich wirklich in seinem Universum auf unterhaltsame Weise verlieren kann – ohne Anflug von Panik. Die Motorgang beim Begräbnis, die Welt der Tattoos, Hollywood und die Filmwelt allgemein, die Internatswelt, die Welt des Erfolgs und der Vermarktung, die Welt der Ringer, Transvestiten, Prostituierten, der verlassenen Lieben, der großen versäumten Liebe (die vielleicht doch keine war), die Welt der Freundschaft, Zuneigung, Lüge – Irving verpackt alles, was sich verpacken lässt, in seinen Roman, und trotzdem wirkt es so, als müsste es so sein, als könnte nichts weggelassen werden.

"Unitl I Find You" ist einfach ein Leseerlebnis, vom Anfang bis zum Ende. Was soll man schon Besseres über ein Buch sagen können?

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
01.06.2006
Link
https://rezensionen.schule.at/portale/rezensionen/newsletter-fuer-englisch/gegenwartsliteratur/detail/until-i-find-you.html
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