The White Tiger

Fast wäre es ein Dienstbotenroman geworden – wenn nicht der Erzähler, Balram Halwai (aus einer Koch- und Süßigkeitenkaste) sich zum 'entrepreneur' hochgearbeitet hätte. Hochgearbeitet allerdings durch einen Mord, von dem wir schon nach etwa 30 Seiten erfahren. In acht Monaten würde er seinem Arb ...

Fast wäre es ein Dienstbotenroman geworden – wenn nicht der Erzähler, Balram Halwai (aus einer Koch- und Süßigkeitenkaste) sich zum 'entrepreneur' hochgearbeitet hätte. Hochgearbeitet allerdings durch einen Mord, von dem wir schon nach etwa 30 Seiten erfahren. In acht Monaten würde er seinem Arbeitgeber, Mr Ashok, die Kehle durchschneiden und mit einem Sack Geld von Delhi nach Bangalore flüchten, wo er, mit den üblichen Bestechungsgeldern, ein Taxiunternehmen aufziehen wird.

Balram stammt aus dem ostindischen Staat Bihar, spricht immerhin Englisch (wenn auch so schlecht, dass Mr Ashok und seine Frau Pinky Madam sich über ihn lustig machen), und erhält, wegen seiner Rücksichtslosigkeit und auf Grund der Tatsache, dass die Ashok-Familie Verbindungen zu Laxmangarh, dem Herkunftsort Balrams hat, eine Stelle als Fahrer. Er erwirbt sich das Vertrauen Mr Ashoks, der schon zu amerikanisiert ist, nicht aber unbedingt das von Ashoks Bruder, der die alte indische Rücksichtslosigkeit gegenüber Dienstboten repräsentiert.

Wir bekommen aber keine rührende Dienstboten-Geschichte geliefert, auch wenn Balram ewige Unterwürfigkeit signalisiert; als Pinky Madam betrunken einen Unfall mit Todesfolge verursacht, wird geradezu erwartet, dass Balram die Schuld auf sich nimmt. Ironischerweise muss er das nochmals als Taxiunternehmer, aber es kommt auch dort darauf an, wer wen tötet, wer wen bezahlt.

Es sind also keine sympathischen Menschen, die uns in diesem Roman gegenübertreten. Balram weiß, dass die Rache an seinem Mord an seiner Sippschaft erfolgen wird – und verschließt die Augen. Gierig und korrupt sind fast alle in diesem Buch, und auch wenn Balram am Schluss so etwas wie Mitmenschlichkeit (in den Augen anderer Schwäche) zeigt, so ist er letztendlich doch verschlagen, berechnend, rücksichtslos.

Balrams Sprache ist nicht elegant, sondern einigermaßen seiner Herkunft angepasst, aber doch gleichzeitig künstlich (ein paar indische Worte dazwischen bewirken da gar nichts) und ein steter, vertrauter Fluss ohne Eigenheiten. (Die witzigste Idee ist da noch, dass er seine Lebensgeschichte in Briefen an den chinesischen Premier Wen Jiabao adressiert.) Auch die Geschichte selbst hat nichts vom magischen Realismus eines Rushdie oder einer Roy, selbst wenn die Werbung das gerne herbeischreiben möchte. Ein Rezensent hat den Erzählfluss mit einem indischen Zug verglichen, der sich unbeirrbar durch die Landschaft pflügt. Da dauert es, bis bei so einer Zugfahrt auch Spannung aufkommt oder ein packendes Gefühl.

All diesen Vorbehalten zum Trotz: "The White Tiger" hat den begehrten Booker-Prize gewonnen, und er sei Aravind Adiga auch herzlich gegönnt, zumal er redlich um Realismus bemüht ist. Aber für einen europäischen Leser wie mich wird Indien dadurch nicht fassbarer, sondern noch mehr stereotypisiert (was Indien und dem Autor herzlich egal sein mag). Wenn das gleich Booker-preiswürdig ist, dann müssten wir ihn wohl mehrmals im Jahr vergeben.

London: Atlantic Books 2008

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
01.11.2008
Link
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