The Sense of an Ending

Ein Roman (eine Novelle?), wie man sich ein Buch nur wünschen kann. Man sitzt im Lesesessel, beginnt zu lesen und findet sich sofort in der Welt gepflegter Sätze, die von Verlust, Melancholie und banaler Alltäglichkeit nur so triefen. Man freut sich, ein gebildeter Leser zu sein, und wundert sic ...

Ein Roman (eine Novelle?), wie man sich ein Buch nur wünschen kann. Man sitzt im Lesesessel, beginnt zu lesen und findet sich sofort in der Welt gepflegter Sätze, die von Verlust, Melancholie und banaler Alltäglichkeit nur so triefen. Man freut sich, ein gebildeter Leser zu sein, und wundert sich ein bisschen über die vielen schönen Wörter, die Julian Barnes zur Verfügung hat. Wehmut kommt auf angesichts des Protagonisten – und als nicht-mehr jugendlicher Leser ist man voll von Empathie und denkt daran, was man selbst im Leben versäumt oder erreicht hat. Ein ganz gepflegter Lesesonntag eben!

In der Tat habe ich nach langer Zeit wieder einmal das Gefühl, dass hier ein würdiger Booker Prize-Gewinner uns in eine Geschichte entführt, die so perfekt konstruiert und offen zugleich ist, dass man weiß, was Lesen in Kupferstichen war: persönlich bereichert, in Spannung gehalten, von der Sprache höchst angetan.

Barnes erzählt von Tony Webster, der auf sein Leben zurück blickt. Auf seine Freunde aus der Schulzeit, besonders auf Adrian, den Intellektuellen, auf seine Versessenheit, eine Freundin (und damit Sex) zu haben; auf die vielen kleinen Erniedrigungen, auf ein höchst gewöhnliches Leben und (novellistisch) das unerhörte Ereignis. Dass ihm nämlich die Mutter seiner damaligen Freundin 500 Pfund und das Tagebuch des durch Selbstmord dahingeschiedenen Freundes Adrian hinterlässt. Doch Veronica, die mit Adrian liiert war, nachdem sie Tony verlassen hatte, will es nicht herausrücken. Tony trifft sich mehrmals mit ihr – doch alles, was sie ihm zu sagen hat, ist: You don’t get it. You never did.

Und in der Tat – das Leben ist an Tony vorbeigetröpfelt, und nicht nur für Einzelereignisse, für seine gesamte Existenz gilt der Satz im doppelten Sinn: You don’t get it. Tony meint: "I had wanted life not to bother me too much, and succeeded – and how pitiful that was." Und genau das ist seine Tragödie. Durch die Selbstbescheidung geht das Leben an ihm vorbei – und er merkt es. Kein Verdämmern, kein selbstgefälliges Zurückblicken, keine Spielereien mit dem Konzept von Geschichte, keine Zeitzeugen, die ihn erlösen. Kein Wunder, dass das Buch nur so strotzt von Wehmut, Melancholie – und einer Prise Lächerlichkeit, die den Charakteren verabreicht wird.

Das alles bringt Barnes kunstfertig auf nur 150 Seiten unter. Das alles ist – Sie werden es kaum glauben – tatsächlich spannend! Empfehlenswert!!

London: Jonathan Cape 2011; pp. 150

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
03.11.2011
Link
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