The Sea - Booker 2005

Zwar habe ich "The Book of Evidence" und "Athena" gelesen, aber für mich war der irische Autor Banville immer der Autor von "Dr Copernicus" und "Kepler" – zwei Bücher, die mich so gefesselt haben, dass ich damals auch gleich eine Handvoll Sachbücher gelesen habe. Umso größer meine – und nicht nu ...

Zwar habe ich "The Book of Evidence" und "Athena" gelesen, aber für mich war der irische Autor Banville immer der Autor von "Dr Copernicus" und "Kepler" – zwei Bücher, die mich so gefesselt haben, dass ich damals auch gleich eine Handvoll Sachbücher gelesen habe. Umso größer meine – und nicht nur meine – Überraschung, dass sich Banville dieses Jahr gegen eine starke Konkurrenz beim Booker durchgesetzt hat, weil es so schien, als wäre das ruhige, bestenfalls sprachlich bewegte Universum des John Banville nicht gerade preiswürdiges Material. Die Lektüre belehrt aber deswegen eines Besseren, weil hier ein Roman vorliegt, der es schafft, vorwiegend mit einer gelassenen Erzählhaltung, vor allem aber mit einer überaus sorgfältig gewählten Sprache eine traurige, ein bisschen beklemmende, nostalgisch gefärbte Lebensgeschichte zu erzählen, in der wir uns alle ein bisschen wiederfinden können, auch wenn in uns die große 'englische' (das Buch spielt eigentlich an der irischen Westküste) Meer-Metapher nicht so sehr verankert sein mag wie bei britischen Leserinnen und Lesern. Erinnern Sie sich noch an Murdochs "The Sea, the Sea". Ich, für meinen Teil, nur sehr vage – und damit bleibt mir auch die Hommage an Murdoch verborgen, aber ganze Diplomarbeitsgenerationen können sich da unverdrossen ins Interpretations-Meer stürzen.

Der Kunsthistoriker Max Morden kehrt nach dem Tod seiner Frau (in großartigen Passagen wird die Zeit vor dem Tod geschildert) in ein Dorf am Meer zurück, in dem er als Kind die Sommerfrische verbracht hat. Genau das ist es auch: Sommerfrische (dieses seltsame deutsche Wort), was die Qualität der Erinnerungen ausmacht: Alltägliches ins Große verzerrt, atemlose Abenteuer, unverständliche Beziehungen und Beziehungskrisen, fast geschehene und fast vergessene Dinge – all das macht die Sommerfrische in der z.T. mühsamen Erinnerung so aufregend und prägend. Dazu kommt auch die gehörige Portion Einsamkeit, die der Erzähler nun mit sich herumschleppt, die viele Zeit, die er hat, um von einem rezenten Trauma zu einem früheren zu wandern, die viele Zeit, die er hat, andere Charaktere zu beobachten (einen schrulligen Oberst etwa). Trotz all der Erinnerungen – in zwei Schichten eben – bleibt für uns das, was man Banvilles Werk immer zugesprochen hat: "vagueness". Max als Jugendlicher mit seinen sexuellen Obsessionen, die im Grunde eine harmlose Faszination für Mrs Grace und dann eine handfestere für die eigenwillige Tochter Chloe sind, bleiben skizziert und werden nur durch ein paar Bilder festgemacht (ganz im Stile Nabokovs, zu dem Banville eine Verwandtschaft empfindet). Aber es zeigt sich, dass unsere "Obsessionen" (falls sie diesen Namen verdienen) subjektiv tiefer gehen, als sie von außen wahrgenommen werden können.

So verliert sich also Max in einer melancholischen Sprachlandschaft, in der über Dünen geschritten wird, in der man sich nicht einfach setzt, sondern niederlässt, in der Leser/-innen sich mit dem Wörterbuch bewaffnen können (will ich nun wissen, was "etiolated" heißt oder nicht?), in der man sich auch über ein paar hübsch formulierte Gemeinplätzen, die mit der Trauer kommen (was ist denn Leben?) freuen kann etc. Handlung ist jedenfalls zweitrangig, Schilderungen in atmosphärisch dichter Sprache, die einen in Wellen in die Erzählweite hinausträgt, sind bedeutsamer. Wer sich dieser Erfahrung hingeben möchte, und allzu oft ist das ja gar nicht möglich, dem wird dieses Buch gefallen; ich hab es jedenfalls, ein bisschen zu meiner Überraschung sogar, genossen, ohne dass ich im Nachhinein detailliert darüber sprechen könnte (wenn ich nicht ein paar Notizen hätte).

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
01.11.2005
Link
https://rezensionen.schule.at/portale/rezensionen/newsletter-fuer-englisch/gegenwartsliteratur/detail/the-sea-booker-2005.html
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