The Orphan Master’s Son

“Ga thought about reminding the Dear Leader that they lived in a land where people had been trained to accept any reality presented to them” (544).

Das Land ist Nordkorea, der Geliebte Führer ist Kim Jong Il und erzählt wird die Geschichte des Waisenjungen Jun Do (gleichsam ein Joe Doe), der jede Rolle, die auf ihn zukommt, annimmt, den in Nordkorea zählt nicht der einzelne Mensch, zählt die Geschichte, die geschrieben wird.

Jun Do wird zum Tunnelkämpfer ausgebildet, er kidnappt japanische Bürgerinnen und Bürger, er wird Fischer (und auf seine Brust wird das Porträt der berühmten Schauspielerin Sun Moon tätowiert, damit auch er sichtbar jemandem verpflichtet ist); schließlich reist er mit einer Delegation nach Texas und kommt daraufhin in ein Arbeitslager – und damit in den sicheren Tod.

Aber seine Geschichte wird neu geschrieben, als er dort auf den Volkshelden Ga trifft, ihn tötet und nun selbst als Commander Ga zurückkehrt; zum Geliebten Führer, den er düpiert hat, und zu Sun Moon, seiner Ehefrau. Gleichzeitig finden wir ihn in den Folterkellern des Regimes und ein anonymer Folterknecht erzählt Gas Biographie; und wieder gleichzeitig hören wir aus dem Radio die Geschichte der Sun Moon, Heldin der besten nordkoreanischen Erzählung des Jahres. Schlussendlich wird aber auch die wahre Geschichte vom Verschwinden der Sun Moon enthüllt.

Man sieht, das Buch wird immer kaprioliger, immer bizarrer, und bald können wir nicht mehr unterscheiden, was ist Fiktion, was zeigt uns die Verhältnisse im wirklichen Nordkorea. Johnson, der an vielen Schauplätzen seines Romans war, lässt das in einem beigefügten Interview auch bewusst offen; wir wissen auch nicht, ob die Gräuel, die geschildert werden, immer einen realen Hintergrund haben, aber wenn auch nur die Hälfte stimmt, dann reicht es für den Schock. Gleichzeitig wird auf faszinierende Weise vermittelt, wie ein totalitäres Regime und dessen Selbstwahrnehmung und Propaganda funktionieren. (Mich hat es jedenfalls in meinem Wunsch bestärkt, selbst einmal Nordkorea zu bereisen.)

Johnsons ausufernder Roman, der in weiten Teilen unglaublich spannend, in manchen etwas verwirrend ist, wurde bereits als moderner Dystopie-Klassiker bezeichnet; das mag ein bisschen übertrieben sein, aber den Pulitzer-Preis 2013 hat er bestimmt zu Recht erhalten.

London: Black Swan 2013; pp. 575

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Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
30.09.2013
Link
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