2010 verstarb der bedeutende britische Historiker Judt (“Postwar: A History of Europe Since 1945”); er litt an ALS (eine Form der Sklerose), die ihm schreckliche letzte Jahre in zunehmender Bewegungslosigkeit bescherte.

Und trotzdem hat er uns dieses interessante, leichte, bezaubernde Buch mit Aufsätzen hinterlassen, in denen er uns in sein Memory Chalet entführt, weil ihm ein Palast der Erinnerungen zu hochtrabend erscheint.

Judt berichtet von seiner Krankheit, seinem jüdischen Erbe, seinem Heranwachsen (u.a. in Putney), seinen Ehen, seinen Reisen – und seiner altmodischen Attitüde, die einem rigorosen akademischen Diskurs verpflichtet ist. Auf sehr subtile Art macht er (etwa in “Bedder”) deutlich, wie rasch Generationen einander in ihrem Denken und Handeln nicht oder kaum mehr verstehen; wie langweilig-liebenswert die Zufluchtsorte sein können (“Magic Mountains”), wie pädagogisch die Unpädagogen sein können (“Joe”). Selbst in so scheinbar einfachen Beiträgen wie “Food” spüren wir Judts Verpflichtung an die Dialektik und ans differenzierte Denken.

Gedacht waren sie, um die schrecklichen Nächte der Bewegungslosigkeit zu füllen, nicht um publiziert zu werden; aber manche dieser Essays werden wohl noch lange funkeln.

Dieses Funkeln komtm nicht zuletzt von der Sprache. Da werden unablässig so schöne Wörter wie ‘insouciant’, ‘inelcutable’ oder ‘untrammeled’ verwendet, aber das hat nichts Gequältes, das will nicht vorgeben, besonders gescheit zu sein, das passt einfach. Das ist ein Englisch, wie man es selbst gerne zur Verfügung hätte, um geistreiche Sätze zu schreiben – oder einfach nur mit der Sprache auf einer anderen Ebene als der alltäglichen zu spielen. In vielfacher Hinsicht ein Lesevergnügen!

P.S. Daher auch die Einordnung unter Gegenwartsliteratur, nicht Sachbuch.

London: Heinemann 2010; pp. 226