The Inheritance of Loss

Die heurige Booker-Runde war ja von Überraschungen geprägt – ich selbst kannte von der Shortlist eigentlich nur Sarah Waters, und dass Kiran Desai die Tochter der berühmten Autorin Anita Desai ist, hatte sich vielleicht auch herumgesprochen. Dass aber eine ausgesprochene Außenseiterin gewinnen w ...

Die heurige Booker-Runde war ja von Überraschungen geprägt – ich selbst kannte von der Shortlist eigentlich nur Sarah Waters, und dass Kiran Desai die Tochter der berühmten Autorin Anita Desai ist, hatte sich vielleicht auch herumgesprochen. Dass aber eine ausgesprochene Außenseiterin gewinnen würde, damit hatte kaum jemand gerechnet.

Desais Buch ist eine unbequeme Variante der Globalisierung, der politischen Auseinandersetzung, der Migration, der Würdelosigkeit; es ist kein Roman, der am Ende die Kulturen beisammen sitzen lässt und andeutet, man werde sich schon irgendwann zusammenreden oder zusammenraufen. Die Unsicherheit ist im eigenen Land fast genauso groß wie im fremden, das Lebens-Traum für kurze Zeit nur ist.

Wir beginnen in den 80er-Jahren in Kalimpong, im östlichen Himalaya-Gebiet. Dort lebt die junge Sai mit ihrem Großvater, einem ehemaligen Richter, und dem Koch (dessen Sohn Biju eine armselige Existenz in New York fristet, von dem sich der Vater aber einen schönen Lebensabend erhofft). Der Richter, dessen Geschichte uns nach Cambridge im Jahre1939 führt, hat sich schon längst von seinem Inder-Sein losgesagt; er hat sich eigentlich von allem losgesagt, nur der Hund Mutt bereitet ihm noch Freude. Trotzdem ist die Demütigung durch ein Band politsicher Marodeure (die Gorkha National Liberation Front) kaum zu verwinden. Später stellt sich auch noch heraus, dass Sais Lehrer/Liebhaber Gyan der Bande den Tipp gegeben hat…

Auch zu Hause, im von einer korrupten und unfähigen Polizei dominierten Kalimpong, ist das Leben nicht sicher. Noch weniger ist es das in New York, wo Biju ein Leben unter der Armutsgrenze fristet, wo der große Traum vom Westen, den der Richter geträumt hat, absolut nicht erfüllt wird. Am Schluss gibt es auch keine Antwort, sondern nur Menschheitspessimismus: "Slowly, painstakingly, like ants men would make their paths and civilization and their wars once again, only to have it wash away again."

Desais Geschichte ist ambitioniert, ihr Blick stellenweise so klar, ihre Sprache so präzise, dass es sozusagen eine Meta-Freude ist, dies zu lesen. Und dann gibt es wieder Passagen, da kann man sich des Eindrucks nicht erwehren: sehr bemüht in dem Versuch, das traditionelle Erzählen etwas aufzulösen – aber eben nur sehr bemüht und nicht gelungen. Etwa ab der Hälfte des Buches, muss ich gestehen, verlor ich auch ein wenig Interesse an den Charakteren – manches schien irgendwie vertraut, war aber nicht mehr packend. "The Inheritance of Loss" ist zweifellos ein mit großem Können geschriebenes Buch, das Buch einer interessanten Autorin, die nicht bereit ist, einen versöhnlerischen Blick auf wesentliche Grundfragen unserer Zeit zu werfen. Aber als große Erzählung wird es wohl nicht bestehen – vielleicht hat die Booker Judges auch die Nicht-Favoritenrolle (7:1 bei den Bookies – wie überhaupt der Booker immer mehr zum Pferderennen wird) gereizt; die literarische Qualität allein kann es nicht gewesen sein.

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
01.11.2006
Link
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