The Gathering

Booker 2007
An Irish wake – das hat für viele Leser/innen immer etwas Faszinierendes. Da spuken Joyce und die Dubliners im Hintergrund, und wir erwarten uns wilde Geschichten, zünftiges Trinken, eine kleine Prügelei und eine große Versöhnung.
Als die 11 Hegarty-Kinder zusammentreffen, um den e ...

Booker 2007

An Irish wake – das hat für viele Leser/innen immer etwas Faszinierendes. Da spuken Joyce und die Dubliners im Hintergrund, und wir erwarten uns wilde Geschichten, zünftiges Trinken, eine kleine Prügelei und eine große Versöhnung.

Als die 11 Hegarty-Kinder zusammentreffen, um den etwa vierzigjährigen Liam zu begraben, der in Brighton Selbstmord begangen hat, lassen sie den Whiskey nach kurzem Verkosten bleiben und einer der Brüder wird ausgeschickt, Wein zu holen. Es ist kein typischer Wake, denn die Gedanken der um 11 Monate als Liam älteren Ich-Erzählerin Veronica sind bei anderen Dingen. Bei Mammy, der Mutter, die 12 Kinder geboren und sieben Fehlgeburten ertragen hat und die nun etwas verloren bei der Totenfeier ist. Bei ihrer Großmutter Ada, die eine fast lebenslanges Verhältnis mit einem Lamb Nungent hatte, bei ihrem Mann Tom, dem sie sich nah und fern zugleich fühlt.

Wir lernen also eine irische Großfamilie und ihre Geschichte über fast ein Jahrhundert hinweg kennen – ihre Geschichte ist übertrieben, denn vorwiegend lesen wir von Veronicas Befindlichkeiten, von ihrem Sexualleben mit ihrem Mann (das seltsam omnipräsent wirkt), von ihrem Verhältnis zu Liam, der sich – möglicherweise als Missbrauchsopfer – dem Alkohol und später dem Freitod ergibt.

Aber als wir davon erfahren, vom Missbrauch der Kinder durch Lamb Nungent, da bleibt das alles ein bisschen vage, wird ohne großen Zorn erzählt, so, als ob dies wohl auch ein wenig dazugehört; immerhin ist man eine leicht disfunktionale Familie, da darf das Unrecht nicht fehlen.

Überhaupt wirkt alles ein wenig unscharf in diesem Roman, oder es wird so viel schraffiert, dass man eigentlich nicht mehr weiß, was die Konturen sind. Ist es ein Befindlichkeitsroman einer mittelalten Heldin? Ein Familienroman? Eine Geschichte von Verletzungen?

A. L. Kennedy hat über Enrights Buch gemeint, es wende sich an Leser/innen, die Gefühle ertragen können, nicht an solche, die die Action suchen. Jetzt mag ich zu jenen Lesern gehören, die sich mit der Gefühlsliteratur schwer tun, aber bei allem Wohlwollen scheint Veronica doch zu solipsistisch und zu obsessiv, um wirklich rühren zu können. Ein bisschen gequält und gelangweilt, aber mit ausreichendem höflichem Interesse widmet man sich ihr, ohne dabei zu denken: hoffentlich treffe ich sie in einem weiteren Roman wieder.

Den Jurorinnen und Juroren des Man-Booker-Preises 2007 hat es offensichtlich gefallen; mir bleibt da eher – wie damals bei Banvilles „The Sea“ – hervorzuheben, dass Enright mit der Sprache sorgfältig umzugehen weiß; dass man dem Roman anmerkt, dass er mit viel erzählerischer Intelligenz und präzisem Sprachgefühl geschrieben wurde; dass er aber keine seiner Figuren so lebendig macht, dass man sie auf Dauer in Erinnerung behalten kann und will.

London: Jonathan Cape 2007

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
01.11.2007
Link
https://rezensionen.schule.at/portale/rezensionen/newsletter-fuer-englisch/gegenwartsliteratur/detail/the-gathering.html
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