Sebolds "The Lovely Bones" (s. Archiv) gehörte zu den beeindruckendsten Neuerscheinungen des Jahres 2003 – klar, dass es fast unmöglich war, den Erfolg dieses Romans zu wiederholen.

Dennoch beginnen wir mit einem fulminanten Anfangssatz: "When all is said and done, killing my mother came easily."

Die 49jährige Ich-Erzählerin Helen, ein Aktmodell, hat ihr Leben lang unter ihrer Mutter, von einem freundlichen Nachbarn als "mentally ill" beschrieben, gelitten. Sosehr sie ihre Tochter unterdrückt hat, sosehr hatte sie ihren Ehemann geliebt, war auf ihn angewiesen, und sein Tod hat Mutter und Tochter noch mehr zusammengeschweißt. Und obwohl Helen mit Jake zwölf Jahre lang verheiratet war und mit ihm zwei Töchter hatte, kam sie nie wirklich dazu, ihr eigenes Leben zu leben. Nun, da sie sich von ihrer Mutter – durch eine plötzliche, ungeplante Handlung – befreit hat, ruft sie Jake wieder an, der ihr helfen will, den Mord zu vertuschen. Doch sie macht es ihm nicht leicht, macht es ihrer langjährigen Freundin, deren Sohn Hamish (den sie unmittelbar danach verführt), macht es niemandem, schon gar nicht sich selbst, leicht.

Wir erleben zwei Frauenleben in Rückblenden und Momentaufnahmen, die fast normal hätten sein können, aber nur fast. So erklärt sich auch der Titel, der auf die leichte Verrückbarkeit und damit Verrückt-heit von Existenzen anspielt:

"The moon is whole all the time, but we can't always see it. What we see is an almost moon or a not-quite moon. We plan our lives based on its rhythms and tides." (133f.)

Sebolds Sprache und Erzählführung zeigen wiederum von hoher Könnerschaft, und es fällt schwer, das Buch beiseite zu legen. Wenn es auch nicht der große Wurf von "The Lovely Bones" ist, so lohnt es sich dennoch, Sebolds in jedem Sinn rares Werk weiter mit Aufmerksamkeit zu verfolgen.