Pigeon English

Die Versuchung ist ja groß, das Buch unter Jugendliteratur einzureihen, weil der Erzähler ein elfjähriger Bub aus Ghana ist, der über seine Heimat England, genauer über sein Leben im innerstädtischen Plattenbauviertel schreibt. Aber kaum ein Jugendlicher würde wirklich zu schätzen wissen, was de ...

Die Versuchung ist ja groß, das Buch unter Jugendliteratur einzureihen, weil der Erzähler ein elfjähriger Bub aus Ghana ist, der über seine Heimat England, genauer über sein Leben im innerstädtischen Plattenbauviertel schreibt. Aber kaum ein Jugendlicher würde wirklich zu schätzen wissen, was den Wert des Buches ausmacht: eine einzigartige, unverwechselbare Stimme, mit einer abgeschirmten Sicht auf die Welt, geprägt durch die Mutter (und ein bisschen die ältere Schwester) und die halbierte Kleinfamilie (Vater und jüngere Schwester sind Telefonstimmen, weil immer noch in Ghana), in einem liebenswert-eigentümlichen Englisch.

Harrison Opoku, zweitbester Läufer des 7. Jahrgangs, muss sich in einer wilden Welt behaupten. Da muss er etwa Addidas-Streifen auf seine Billig-Sportschuhe malen (“oh, so gay”), weil er sich keine echten leisten kann, da muss er aufpassen, dass er nicht von der Dell Farm Crew (the local gang) vermöbelt wird, da muss er vor allem aber mit einem Freund Dean den Mord an einem Jungen aus der Siedlung aufklären (mit Mitteln, wie er sie halt so aus dem Fernsehen kennt, wenn er sie nur wirklich zur Verfügung hätte).

Harri ist eine wunderbare Mischung aus Abgebrühtheit und Unschuld. Seine Lieblingsphrase “Asweh, it’s brutal innit” deckt beide Welten ab, in denen er sich voller Neugier, Schwung und Lebensfreude bewegt. Dass er dabei die Balance noch nicht kennt, beschert uns am Ende wenig Freude (mehr will ich nicht verraten), doch es ist ein Vergnügen, ihn durch diese fünf Monate zu begleiten.

Kelman weiß, wovon er schreibt, da er mit dem Hintergrund aus eigener Erfahrung vertraut ist. Was ihn noch inspiriert hat, waren die häufigen Meldungen über Morde unter Kindern/Jugendlichen – brutale Messerattacken, die aus dem Nirgendwo zu kommen schienen.

Das Einzige, was ihm bei diesem Roman von manchen Kritikern vorgeworfen wurde, ist, dass die persona der Taube, mit der Harri spricht, nicht wirklich glaubwürdig ist. Mag sein, aber der Rest des Buches entschädigt mehrfach dafür. Pflichtlektüre für den Sommer!

London: Bloomsbury 2011; pp. 263

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
01.07.2011
Link
https://rezensionen.schule.at/portale/rezensionen/newsletter-fuer-englisch/gegenwartsliteratur/detail/pigeon-english.html
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