NW

“White Teeth” ist ja immer noch das unumstrittene Meisterwerk von Smith, und man möchte fast meinen, dass sie mit „NW“ anknüpfen möchte an den Erfolg, aber Smith ist vielleicht zu klug, zu planerisch, auch zu epigonenhaft – und scheitert gerade deswegen (ein bisschen).

Klar, man soll schwer Tritt finden im Roman, immerhin scheint Joyce Pate zu stehen, da darf man sich kein Alltagsmenu erwarten. Mehrere Gänge werden serviert, und zwar im NordWesten Londons, genauer gesagt, in Willesden, im Caldwell Housing Estate. Zuerst begegnen wir Leah, der einzigen Weißen (irischer Abstammung) an ihrem Arbeitsplatz, bevölkert von einer Multiethnizität, die einigermaßen komplex ist. Leah ist mit Michael verheiratet (algerisch-guadeloupisch), glücklich noch dazu – bis auf die Tatsache, dass er sich ein Kind wünscht, sie nicht, ein bisschen in dem Bestreben, immer jung zu sein. Wir lernen Leah kennen, als sie auf einen kleinen „scam“ einer jungen Frau reinfällt, zu der sie sich später hingezogen fühlen wird. Joyce’sche Erzähltricks dominieren den Abschnitt.

Im zweiten, beschwingtesten Teil treffen wir auf Felix, einen sympathischen Charakter, der sich aufmacht nach W1, um ein Auto zu begutachten. Der Großteil des Buches aber gehört Keisha, die sich Natalie nennt, auf Erfolgskurs ist, Leahs beste Freundin ist – und von der (ein bisschen) gehasst wird, eben weil sie sich am weitesten vom Estate entfernt hat. Glücklich ist sie deswegen nicht und wir sehen sie schlussendlich mit Nathan, einem etwas zwielichtigen Schulkollegen, beim Carnival herumwandern. Ich fand es interessant, diesen Teil in 185 Subkapitel aufzuteilen, aber auch hier, wie bei fast allen Teilen (außer bei Felix) hat man das Gefühl, hier wird postmodernistisches Schreiben ein wenig erzwungen. (Man merkt an meinem „ein wenig“, „ein bisschen“, dass ich mir meiner Sache selber nicht ganz sicher bin.)

Egal – wie meine Schüler/innen zu sagen pflegen. Wer sich für Gegenwartsliteratur interessiert, kommt an Zadie Smith sowieso nicht vorbei. Wer noch nicht endgültig dem Krimilesen verfallen ist, der sollte sich wappnen für komplexe Erzählkost und daran denken, dass Literatur auch Herausforderung und nicht nur Unterhaltung ist. Smith hätte drei Romane aus ihrem Stoff machen können – sie „bürdet“ uns aber nur einen auf.

London: Hamish Hamilton 2012; pp. 294

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Sprache
Deutsch
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Veröffentlicht am
02.01.2013
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