Number Ten

Ein Buch, das an Townsends brillantes "The Queen and I" anknüpft, haben wir uns schon lange gewünscht, und "Number Ten" scheint den Wunsch erfüllen zu wollen. Premierminister Edward Clare ist nicht mehr der erfolgreiche Politiker, der er war, als er vor fü ...

Ein Buch, das an Townsends brillantes "The Queen and I" anknüpft, haben wir uns schon lange gewünscht, und "Number Ten" scheint den Wunsch erfüllen zu wollen. Premierminister Edward Clare ist nicht mehr der erfolgreiche Politiker, der er war, als er vor fünf Jahren die Wahlen haushoch gewann. Seine Sätze sind Worthülsen, er weiß nicht, was die Milch kostet und sein letzte Zugsfahrt war, wie sich peinlicherweise herausstellt, im Kinderzug auf einem Rummelplatz; kurzum, Edward hat den Draht zu den kleinen Leuten verloren. Seine Frau Adele Floret-Clare, eine der klügsten Frauen der Welt, Autorin von "God Is a Lesbian" und "Arseholes in History", kümmert sich da weniger ums gemeine Volk; in Wirklichkeit leidet Adele unter ihrer riesengroßen Nase und hat Edward nicht zuletzt deshalb geheiratet, weil der sie vorbehaltlos liebt.
Vor No. 10 steht Polizist Jack Sprat, ein Vertreter des Volkes sozusagen; er hat seiner Familie, einer Gruppe von kleinen Gaunern, Schande bereitet, weil er den Beruf des Polizisten ergriff, aber Jack ist unbeirrbar und trotz seiner Marotten ein feinfühliger, gebildeter, wacher Mensch. Er ist für den Premierminister der ideale Begleiter, als dieser beschließt, für eine Woche incognito durch sein Land zu reisen. Anders als Harun al Raschid wählt er aber Frauenkleider und verwandelt sich in Edwina St. Clare. Ihre Reise führt sie nach Edinburgh und endet schließlich in Leicester, wo (auf Nummer zehn) Jacks Mutter wohnt, die ihr Haus in eine Crack-Höhle hat verwandeln lassen. Zwischendurch landen sie in Staus, Krankenhäusern, Gemeindewohnungen (council estates), Pensionistenheimen – und auch bei Eds Schwester, die er lange nicht gesehen hat und in die sich Jack sofort verliebt. Begleitet werden sie von Ali, einem pakistanischenTaxifahrer, der uns die Perspektive des multiethnischen Britanniens vermittelt. Es ist, bei allen witzigen Stellen, eine triste Reise in ein Land, das von Thatcher und Major kaputt gemacht und von New Labour weiter in die ewige Knappheit einerseits, den florierenden Betrug andererseits geführt wurde. Ed versucht zwar mit seinen Polit-Phrasen auf allerlei Fortschritte hinzuweisen, aber der eigene Sohn studiert heimlich die Zeiten von Old Labour und wirft dem Vater Verrat vor.
Townsend zeigt ein monochromes Land, das zwar funktioniert, wo aber vorwiegend der Mangel verwaltet wird und wo ein kleines Hindernis zu einer langen Kette von Hindernissen führt, etwa wenn die alleinerziehende Mutter die Matratze nicht bezahlen kann, damit die Lieferanten ihr Benzin nicht kaufen könne, wodurch sie einen Job verlieren, der wieder einigen ein bisschen Geld gebracht hätte, damit etc. etc. (Vgl. dazu die Geldbettelszene für die Taximiete in Leighs "All or Nothing.") Man lebt also, aber lebt nicht gut in einem Land, das zwischen Amerikanisierung (eine herrliche Szene beim Cream Tea, der keiner mehr ist) und Verelendung (mit allen Folgen, wie Gewalt, Drogenkonsum...) pendelt. Was immer wieder hoffen lässt, ist eine ruppige Solidarität der sog. kleinen Leute, die zwar nicht über ihren Tellerrand hinausblicken können und wollen, die aber auch mit einem Premier kontrastieren, der Afrika retten will statt im eigenen Land die Probleme anzugehen. Townsend hat diesmal auf das "Es war nur ein Traum"-Ende verzichtet und ein politisches Buch geschrieben, das zwar sehr viele unterhaltsame Szenen, dafür aber auch wenig Perspektiven bietet. Lesen Sie es trotzdem!

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
01.07.2001
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