Nora Webster

Autor TÓIBÍN, Colm

Verlag London: Viking 2014

Ich sehe es als wirklich kuriosen Zufall – denn der Roman, der im Irland Ende der 60er Jahre spielt und das Schicksal der verwitweten Nora Webster (und ihrer vier Kinder) zum Inhalt hat, spiegelt bis zu einem gewissen Grad meine Jugend wider:

Just zu der Zeit starb mein Vater, und auch über meine Mutter (und die fünf Kinder) ließe sich eine ähnliche Geschichte erzählen. Was Wunder also, dass ich das Buch mit großer Anteilnahme gelesen habe.
Hier passieren keine Wunderdinge, hier gibt es nicht dramatische Action, hier gilt es nicht, Außergwöhnliches zu erzählen. Nora, die – wie der Autor – in der Gegend von Enniscorthy zu Hause ist, muss mit dem Verlust des Ehemanns fertig werden. Das inkludiert auch: familiäre Probleme, finanzielle Sorgen, Schwierigkeiten vor allem mit den beiden jungen Söhnen, Selbstfindung, Selbstachtung, Sich-Behaupten in einer kleinkarierten Umgebung undundund. Was braucht man da noch „mayhem and murder“?
„Nora Webster“ ist – bei aller Kritik am Mief der 60er, eine Liebeserklärung an England. Nora ist durch und durch irisch – und als sie einmal mit einer Tante nach Spanien reist, da ist ihr nicht wohl im fremden Land. Eilis aus „Brooklyn“ (s. Archiv) hat den Sprung über den Atlantik geschafft, Nora reicht es schon, wenn sie einen Wohnwagen am Meer mietet oder in Dublin eine Tochter besucht.
Seltsam, denn ich habe gerade meiner achten Klasse „The Dead“ aufgezwungen, wo ja Gretta die Züge der einzig wichtigen Nora, nämlich der von Nora Barnacle, trägt. Auch dort haben wir ja den Kampf zwischen dem wilden Westen Irlands und dem Kontinent. Diese Nora ist immerhin schon im Osten des Landes, aber Irland ist immer noch ihr Ein und Alles.
Wir lesen – in großartig-beruhigender Sprache - von den vielen alltäglichen Ereignissen, mit denen sich Nora konfrontiert sieht. Ihr Weg aus dem Alltag, d.i. die Musik, ist auch nicht glamourös, sondern auf Chor und ‚pub singing‘ reduziert; dennoch reicht das für den Alltag – als Gegengewicht. Das Faszinierende aber ist: Obwohl nichts Außergewöhnliches erzählt wird, konnte ich den Roman fast nicht aus der Hand legen, so spannend erschien er mir.
Ich nehme mal an – nicht die ideale Lektüre für Jugendliche; aber diejenigen unter Ihnen, die ein bisschen mit Irland und der irischen Literatur vertraut sind, werden ihre helle Freude an dem Buch haben.

pp. 311

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
01.03.2015
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