Marrying the Mistress

Die Ausgangssituation des Romans ist eigentlich ziemlich trivial und zugleich hochexplosiv: Der 62-jährige Richter Guy Stockdale, durchaus gut erhalten für sein Alter – keine falschen Zähne, keine Lesebrille -, ist drauf und dran, sein nunmehr bereits sieben Jahre dauerndes Doppelleben zu beende ...

Die Ausgangssituation des Romans ist eigentlich ziemlich trivial und zugleich hochexplosiv: Der 62-jährige Richter Guy Stockdale, durchaus gut erhalten für sein Alter – keine falschen Zähne, keine Lesebrille -, ist drauf und dran, sein nunmehr bereits sieben Jahre dauerndes Doppelleben zu beenden. Er hat sich endlich dazu entschlossen, sich von seiner Frau Laura nach vierzigjähriger (!) Ehe scheiden zu lassen, um seine Geliebte, die junge Rechtsanwältin Merrion Palmer, die halb so alt ist wie er, zu ehelichen.

Das ist natürlicher ein schwerer Schlag für seine Ehefrau, die in den letzten vier Jahrzehnten ausschließlich für die Pflege von Haus und Garten, Mann und Söhnen (Simon, Alan) gelebt hat. Aber das Mitleid des Lesers/der Leserin mit ihr hält sich wohl bald in Grenzen, erleben wir Laura doch als ziemlich sture und egoistische Person, deren stärkstes Gefühl Selbstmitleid zu sein scheint. Dazu kommt, dass sie Simons ohnedies etwas übertriebenes Verantwortungsgefühl für seine Mutter über Gebühr beansprucht und es meisterlich versteht, kindliche Schuldgefühle in ihm zu wecken. Erst relativ spät, als sein eigenes Familienleben schon ernsthaft Schaden zu nehmen droht, schafft es Simon, sich ihrem Terror zu entziehen.

Parallel zu diesem durchaus turbulenten Drama, in das mehrere Personen verwickelt sind, vollzieht sich das weitaus stillerere Drama zwischen Guy und Merrion, das nicht ganz nach ihren Erwartungen abläuft.

Bemerkenswert an diesem Roman ist die starke Spannung, die ungebrochen von einer Seite zur nächsten weiterwächst. Es passieren keine wirklich weltbewegenden Dinge und dennoch bleibt man bis zur letzten Minute gespannt darauf, wie die Geschichte weitergeht. Dazu erweist sich Trollope wieder einmal als geniale Beobachterin selbst kleinster menschlicher Regungen und als genaue Analytikerin des (zwischen)menschlichen Gefühlslebens, und das nicht nur beim weiten Seelenland der Hauptfiguren, sondern auch bei dem der Randfiguren, wie beispielsweise bei der Beschreibung der unterschiedlichen pubertären Krisen von Simons drei Kindern. Nicht uninteressant ist vielleicht auch die Tatsache, dass Trolllope als einzige (zumindest vorläufig) krisenfreie Beziehung die noch junge (homosexuelle) Liebe zwischen Alan und Charlie darstellt.

Für mich liegt die große erzählerische Leistung Trollopes darin, dass es ihr auf überzeugende Weise gelingt, zunächst durchaus klischeehafte Konstellationen und Charaktere so mit Leben zu erfüllen, dass sie bestechend authentisch wirken und einzigartig werden.

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
01.07.2001
Link
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