Love

Morrisons Bücher kreisen immer um dunkle Geheimnisse, alte Schuld, Entzweiungen auf persönlicher und politischer (racial) Ebene. Und sie sind so erzählt, dass sie dem Leser/der Leserin einige Mühe abverlangen. Wessen Stimme hören wir gerade? Auf welcher Zeitebene befinde ...

Morrisons Bücher kreisen immer um dunkle Geheimnisse, alte Schuld, Entzweiungen auf persönlicher und politischer (racial) Ebene. Und sie sind so erzählt, dass sie dem Leser/der Leserin einige Mühe abverlangen. Wessen Stimme hören wir gerade? Auf welcher Zeitebene befinden wir uns? Welch alte Schuld bringt neues Leid?

Von hinten nach vorne erzählt lesen wir von der alten Feindschaft zwischen Christine und Heed, die natürlich als Freundschaft begann. Mr Cosley, Eigentümer eines Hotels, hatte schon immer die Frauen in den Bann gezogen, und manche waren ihm bis zum heutigen Tag treu geblieben, so etwa Vida Gibbons, die nur gute Erinnerungen an ihn pflegt. Doch als der über fünfzigjährige Mr Cosley die elfjährige Heed heiratet und damit seine Enkelin Christine indirekt verjagt, beginnen Hass und enttäuschte Liebe gleichermaßen miteinander zu wetteifern. In die Tragödie von einst kommt nunmehr die siebzehnjährige Junior, die endlich einer Entziehungsanstalt entkommen, bei Heed eine Stelle findet und – mehr wissentlich als unwissentlich – die Dinge in Bewegung bringt und auch einen Schlussstrich unter so manches ziehen kann. Auch Vida und ihr Ehemann werden wieder in die Geschichte verwickelt, da sich Junior über den Enkel des alten Ehepaars hermacht. Und eine mysteriöse L liefert den tagebuchartigen, raunenden, erzählerisch-überhöhten Hintergrund.

Morrisons Sätze sind einerseits voll versteckter Bedeutung, voll klar konstruierter Schönheit, andererseits enthalten sie immer wieder harte Alltagssprache, knappe Dialoge, knappste Beschreibung. Die Poesie des Gewöhnlichen konkurriert mit der Magie der Traditionen, Geheimnisse, Verfehlungen, Zufriedenheiten. Nicht nur in "Love", sondern auch in ihren anderen Romanen vermittelt Morrison, dass eine ganz spezifische schwarze Kultur und Erzähltradition, ein altes Zusammengehörigkeitsgefühl in ihren Figuren lebt, auch wenn sie einander zerfleischen. Liebe bei Morrison ist etwas Komplexes, etwas, das vielerlei Ursachen hat, etwas, das viele vielleicht nie als Liebe beschreiben würden.

Diese Komplexität macht "Love" zu einem dichten Buch, auch wenn es verhältnismäßig dünn ist. Und beim Lesen spüren wir, dass durch das Erzählen viel mehr nicht erzählt wird, als erzählt wird. Genau das macht die Faszination des Romans aus.

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
01.07.2001
Link
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