Kehua!

Meine jugendliche Leserin war weniger davon angetan – zu viel Mord, Inzest, Untreue, Sex – man will von einer heileren Welt lesen, vor allem, wenn man noch nicht an Weldon Lektüre gewöhnt ist. Meinereins liest das natürlich mit anderen Augen: Leicht, luftig, verspielt, unberechenbar ist das Buch ...

Meine jugendliche Leserin war weniger davon angetan – zu viel Mord, Inzest, Untreue, Sex – man will von einer heileren Welt lesen, vor allem, wenn man noch nicht an Weldon Lektüre gewöhnt ist. Meinereins liest das natürlich mit anderen Augen: Leicht, luftig, verspielt, unberechenbar ist das Buch, zumal man der Erzählerin ja nie ganz trauen kann. Und das Schöne ist: Weldonsche Erzählerinnen haben etwas Abruptes an sich, entscheiden sich im Verlauf des Erzählens für Varianten und schweben, so wie die Kehua (die wandernden Geister der unbehausten Toten), ziemlich erratisch durch die Welt.

Hier beginnen wir mit Scarlett, die ihren Lebensgefährten Louis verlässt, weil sie einen abgehalfterten (weiß sie nicht) Schauspieler kennen gelernt hat. Bevor sie ihn (zum wiederholten Male) trifft, besucht sie ihre Großmutter Beverley (Weldons alter ego). Zurück lässt sie nicht nur Louis, sondern ihre sechzehnjährig Nichte Lola, die von ihrer (plötzlich lesbischen) Mutter Cynara geflohen ist und nun beschließt, den verlassenen Louis zu verführen.

Diese Ereignis setzen jede Menge Erinnerungen in Gang – und wir erfahren in aller Ausführlichkeit von Beverleys kompliziertem Leben in Australien (wo nichts so ist, wie es scheint), von Alice, der Tochter Beverleys, von deren Töchtern Cynara und Scarlett.

Dabei werden jede Menge Leichen aus dem Keller geholt, Familiengeheimnisse werden enthüllt – und die Kehua sind im Freudentaumel darüber.

All das ist unterhaltsam miteinander verwoben, man fühlt sich wohl in der Rolle des Voyeuer-Lesers und freut sich an Weldons Leichtigkeit, die sie über Jahrzehnte bewiesen hat. Vielleicht wird es meiner Leserin auch so ergehen, wenn sie Weldon noch eine Chance gibt und etwas von der Strenge der Jugend verloren hat.

London: Corvus 2010; pp. 325

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Sprache
Deutsch
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Education Group
Veröffentlicht am
02.03.2011
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