Gaveston

Der wirkliche Piers Gaveston war ein Günstling Edwards II, mit dem ihn eine allzu enge Freundschaft verband, und die ihn schließlich den Kopf kostete. Der Gaveston dieses Buches ist Medienprofessor am neufinanzierten St. Dunstan College einer renommierten englischen Universitätsstadt. Sponsor (u ...

Der wirkliche Piers Gaveston war ein Günstling Edwards II, mit dem ihn eine allzu enge Freundschaft verband, und die ihn schließlich den Kopf kostete. Der Gaveston dieses Buches ist Medienprofessor am neufinanzierten St. Dunstan College einer renommierten englischen Universitätsstadt. Sponsor (und damit gleichsam neuer Lehensherr) ist der Medienzar Sir Edward Hamilton Harvey, der darauf bestanden hat, dass der geheimnisumwitterte und schöne Piers den neuen Lehrstuhl bekommt, auch wenn seine akademische Laufbahn diesen Posten nicht rechtfertigt. Piers legt sich natürlich gleich mit dem akademischen Adel an (enttarnt den Marxisten als echten Adeligen etc.), ist aber sonst wenig an der Universität zu sehen, zumal ein paar alte Freunde zur Freude der Studierenden Zeitgeistiges unterrichten (zB Other Studies).
Erzählt wird uns die Geschichte des narzisstischen Piers, der die Belesenen an Miltons Satan erinnert, von Gabrielle Harvey, der Nichte Sir Edwards. Sie erliegt prompt den Reizen des schönen Piers und erkennt zu spät, dass Piers nur sich selbst liebt, dass seine (berechnende) Beziehung mit Sir Edward über der mit ihr steht.
Merritt, Jahrgang 1974, Film- und Literaturkritikerin, hat mit ihrem Erstling ein ausgezeichnetes Buch vorgelegt, das nicht nur eine große Geschichte von Zuneigung und Enttäuschung neu erzählt, sondern das keine Gelegenheit zur Gesellschaftssatire auslässt. Da ist einerseits die akademische Welt, in die Piers mit modischen Kulturwissenschaften einbricht und die feministische und marxistische Akademiker/-innen alt aussehen lässt. Dem Reiz des häppchenweise Aufbereitbaren kann sich auch Gabrielle, die an St. Dunstan über den Artusmythos dissertiert, nicht entziehen. Sie bereitet für Piers eine BBC-Serie über das wahre England vor und steuert ihre Kenntnisse über Artus und Glastonbury bei. Andererseits aber liefert Merritt einen Politkrimi (Stichwort Waffenhandel), streut ein paar Szenen über Literatur ein, kritisiert und ironisiert Medienherrschaft und Einzelkampf-Journalismus, kurzum, sorgt dafür, dass wir das Gefühl haben, eine bewegende, geistreiche und spannende Geschichte gelesen zu haben. Vielleicht ist Merritt manches Mal zu bemüht, besonders wortmächtig zu erscheinen, ein paar Bilder sind schief, ein paar Vergleiche übertrieben oder unpassend, aber im Großen und Ganzen ist Merritt ein Talent, weshalb wir uns auf ihren nächsten Roman mit Recht freuen dürfen.

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
01.07.2001
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https://rezensionen.schule.at/portale/rezensionen/newsletter-fuer-englisch/gegenwartsliteratur/detail/gaveston.html
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