"Lisey's Story" war die Geschichte einer Ehe, das ist die Geschichte einer Trennung. Einer Trennung vom gewohnten Leben, aber auch einer Trennung von der Ehefrau, der Routine, der Sicherheit.

Der Bauunternehmer Edgar Freemantle hat einen Unfall, bei dem er lebensgefährlich verletzt wird und einen Arm verliert; es folgt eine lange Rehab-Phase, in der er u.a. auch seine Sprache wieder finden muss – von King, der ja selbst 1999 nach einem Unfall dem Tod nahe war, ganz ausgezeichnet beschrieben.

Edgar trennt sich von seiner Frau und seiner Firma und siedelt auf die einsame Landzunge von Duma Key in Florida. Dort entdeckt er plötzlich sein Talent als Künstler und er beginnt Bilder zu malen, die immer seltsamer und seltsamer werden. Dort lernt er auch die alte Elisabeth Eastlake und ihren Betreuer Wireman kennen. Elisabeth leidet an Alzheimer – und für sie hat sich nach einer Kopfverletzung das Tor zu einer anderen Welt geöffnet; eine Macht, Perse genannt, offenbart sich zusehends als böse – die Bilder, die Elisabeth malt, können Wirklichkeit werden.

Die unübersehbaren Parallelen bauen sich auf: Edgar malt Bilder, Edgars Bilder bedrohen Menschen, die er liebt. Am Schluss treten drei Männer den Weg in den Süden von Duma Key an, um sich dem Bösen zu stellen.

King ist dann am besten, wenn er vom Alltag schreibt. Edgars zögerliche Annäherung an die Kunstszene ist unterhaltsam, sein Umgang mit seinen Unfallfolgen beklemmender fast als der Schrecken, der sich, ein bisschen zu sehr in Lovecraftscher Manier, allmählich auftut.

Bei all dem brauchen wir einen langen Atem: King, Edgar und die Leser/innen. Wer an den früheren King denkt – da war oft allzu viel in Bewegung; nun breiten sich die Gegenwelt, die Ängste, die Zwänge mit einer Behäbigkeit aus, die letztendlich nachhaltiger verstört als die früheren Grottenbahnen. Zweifellos eine interessante Entwicklung – sodass ich absichtlich das Etikett Gegenwartsliteratur und nicht Thriller gewählt habe.