Carthage

Autor OATES, Joyce Carol

Verlag New York: HarperCollins 2014

Keine Danksagung an irgendwen – das hat mich am meisten verwundert bei einem Roman, für den doch viel Recherche und Insiderwissen notwendig waren.

Aber was weiß man schon, wie Vielschreiberin Oates (dies ist ihr 40. Roman, glaube ich) das wirklich macht – vielleicht weiß sie immer alles aus erster Hand (völlig unmöglich).
Wie auch immer – Oates hat wieder einmal einen äußerst lesenswerten Roman geliefert, von dem man nicht weiß, ob es nicht zwei oder drei Romane sein sollten.
In der Kleinstadt Carthage in den Adirondacks sind die Mayfields nicht irgendwer. Zeno war einst Bürgermeister und ist immer noch erfolgreicher Anwalt, seine Frau Arlette ist eine gute Seele, seine Töchter sind wohl gelitten und werden von Zeno vergöttert. Das ist die schöne Juliet, die mit dem Corporal Brett Kincaid verlobt ist, das ist die intelligente, aber zurückgezogene Cressida, die sich für M. C. Escher interessiert und eine künstlerische Ader zeigt.
Eine Tages im Juli 2005 verschwindet Cressida spurlos. Verdächtig ist Brett, mit dem sie zuletzt gesehen wurde; der allerdings, zurückgekehrt aus dem Irak-Krieg, ist mittlerweile ein Wrack und kann sich an nichts erinnern. Muss er einen Mord gestehen oder nicht?
Wegen der zahlreichen Twists will ich nicht mehr von der Handlung verraten, aber Oates führt uns durch ein Schuld und Sühne-Spiel, an dem Existenzen zerbrechen, bei dem unentwegt die Frage gestellt wird, wie viel Zuneigung der Mensch braucht, bei dem wir lernen, dass wir nicht schuldlos handeln können.
Oates spielt mit vielen Versatzstücken, eine lange Episode ist einem Aufdecker gesellschaftlicher Missstände gewidmet, bei der man einerseits sagen kann, das Thema Aufdeckung verdient die Ausführlichkeit, denn es gibt immer und auf allen Ebenen etwas aufzudecken, bei der man aber andererseits das Gefühl haben kann, Oates wollte hier unbedingt ein Thema (Gefängnis-Problematik) unterbringen und hat keine Lust/Zeit gehabt, einen eigenen Essay darüber zu schreiben. Gleichzeitig ist ihr, neben der Familientragödie, das Thema Kriegsheimkehrer wichtig, wobei es schon ein bisschen stört, dass die Traumata der Heimkehrer ausführlich Platz finden, die Traumata der Menschen, die an den Kriegsschauplätzen leben, nicht einmal ein paar Nebensätze wert sind.
Wie immer Sie das bei der Lektüre empfinden – Oates hat einen spannenden und vielschichtigen Roman, der aus unterschiedlichen Stimmen komponiert ist, geschrieben, der – und so geht es mir bei fast allen Oates-Romanen – einen sich fragen lässt, wie die Frau das nur macht: unentwegt solche umfangreichen und komplexen Romane zu verfassen. Oft genug galt sie als nobelpreisverdächtig – das Komitee könnte ruhig mal durchgreifen!

pp. 432

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
01.10.2014
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