Brooklyn

Es gibt diese Romane, mit denen setzt man sich einen Sonntag lang hin, und man weiß, es erwarten einen ein paar Stunden gepflegter Lektüre. Keine Welten werden gerettet werden, keine ungeahnten Abgründe tun sich auf – nur die Freuden und Leiden unbedeutender Leute beschäftigen uns im rechten Aus ...

Es gibt diese Romane, mit denen setzt man sich einen Sonntag lang hin, und man weiß, es erwarten einen ein paar Stunden gepflegter Lektüre. Keine Welten werden gerettet werden, keine ungeahnten Abgründe tun sich auf – nur die Freuden und Leiden unbedeutender Leute beschäftigen uns im rechten Ausmaß von individueller Traurigkeit und geteilter Freude. All das wird uns in wohl gefeilter Sprache dargebracht, die ganz entscheidend zum Gelingen des Buches beiträgt.

Tóibíns sechster Roman ist so ein Buch! Immer wieder im Booker Prize-Rennen, wissen wir, dass wir von ihm Qualität erwarten können, aber es überrascht doch, wie so ein – fast möcht ich sagen – Dienstbotenroman, in dem das Erwartete passiert, zu fesseln vermag.

Wir befinden uns in der frühen Fünzigern im Südosten Irlands. Eilis Lacey und ihre Schwester Rose leben mit der Mutter im verschlafenen Enniscorthy, der Vater ist tot, die Brüder arbeiten in England. Da kommt ein irischer Priester aus Brooklyn zu Besuch, und er vermittelt Eilis Arbeit in einem Kaufhaus dort, Unterkunft bei einer herrschsüchtigen Irin, Kurse in Rechnungswesen an einem College. Eilis lebt sich ein, arbeitet und studiert eifrig, lernt einen jungen Mann kennen und (fast?) lieben, plant die Zukunft. Ein Unglücksfall ruft sie nach Irland und zu einer neuen Entschediung zurück.

Das klingt unaufregend – und das ist es auch, möchte man meinen. Aber Eilis entseht so lebendig vor uns, dass wir an ihrem Leben unentwegt mit großer Neugier teilnehmen. Tóibín versteht es meisterlich, die leicht muffige Welt der Fünfziger entstehen zu lassen – muffig, aber geborgen in Irland, muffig, aber unsicher in Brooklyn. Die Überfahrt, die Tanzveranstaltungen, die Rolle der Kirche, die Abläufe, die zum Alltag gehören – alles ist ausgezeichnet erschaffen. Und auch die leichten Verunsicherungen, letztendlich aber auch eine Protagonistin, die immer wieder ein Zögern in sich verspürt und der man wünscht, dass sie wirklich ihren ganz eigen Weg finden wird, denn das Potenzial hat sie dazu, erhöhen das Vergnügen an der Lektüre.

Ein Kammerspiel, wie man es sich schöner nicht wünschen könnte.

 

London: Viking 2009; pp. 252

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Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
01.07.2009
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