Arthur & George

Ein unbedarfter Rezensent wie ich weiß das ja nicht: dass Barnes tatsächlich einen historischen Fall erzählt; andererseits hätte ich – als gelegentlicher Barnes-Leser – natürlich vermuten können, dass er, der gar nicht so sehr der Fiktion, sondern der Dokumentation und dem Essayistischen verhaft ...

Ein unbedarfter Rezensent wie ich weiß das ja nicht: dass Barnes tatsächlich einen historischen Fall erzählt; andererseits hätte ich – als gelegentlicher Barnes-Leser – natürlich vermuten können, dass er, der gar nicht so sehr der Fiktion, sondern der Dokumentation und dem Essayistischen verhaftet ist, sich nicht irgendeinen Roman aus den Tasten hämmert. Holmes-Pastiches kennen wir ja zur Genüge, das letzte hier besprochene war Chabons "The Final Solution" (Juni 2005). Aber Barnes macht naturgemäß mehr als ein Pastiche aus seinem Stoff.

Das Buch beginnt mit einem temporeichen Perspektivenwechsel zwischen den Leben von Arthur and George. Arthur, das ist natürlich Sir Arthur Conan Doyle, als dessen erste Erinnerung wir übrigens den wächsernen Leib der toten Großmutter serviert bekommen. Weniger spektakulär, aber in seiner rechtschaffenen Unbeweglichkeit nicht minder bizarr, entwickelt sich das Leben des George Edalji, Sohn eines Parsee Pfarrers in einer kleinen Gemeinde nördlich von Birmingham. Langsam kommen andere Stimmen hinzu, denn die Edaljis sind Opfer einer Serie von anonymen Briefen und Drohungen – und die Polizei verdächtigt absurderweise George. Sie verdächtigt ihn auch wieder, als er schon Notar ist und ein Leben voll Präzision und Routine führt. In der Gegend werden Tiere auf bestialische Weise umgebracht – und 1903 wird George, der blindlings auf die Justiz vertraut hat, zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Als Doyle von dem Fall liest, nimmt er sich des Schicksals an (nun kreuzen sich die Stimmen, von einem etwas seltsamen früheren Kapitel George&Arthur abgesehen, häufig). Doyle erreicht, dass George nach drei Jahren freigelassen wird – was er nicht erreicht, ist deine klare Exkulpierung, was er nicht erreicht, ist Schadenersatz für die verlorenen Jahre. George trifft noch einmal auf Sir Arthur (bei dessen Hochzeit), dann indirekt sozusagen, bei einer Sance. Mit dem Zweifel an aller Faktizität, mit dem Zweifel an das Erinnerungsvermögen klingt das Buch aus.

Barnes hat seinen Roman auf so vielen Ebenen meisterhaft verknüpft, dass er eher eine Abhandlung als eine Rezension verdiente. Da ist einmal der Kriminalfall. In bester Holmes-Manier wird sondiert, agiert, diskutiert – und der Fall bleibt immer spannend, die Lösung, die Doyle findet, ist fast nebensächlich, die Verwicklungen, die wir bis dahin erfahren, halten uns in Atem. Das hat aber auch eine vernünftige Gemächlichkeit, wie es eben damals eine übliche Erzählhaltung war. Barnes, der ja als Dan Kavanagh selbst Kriminalromane schrieb, versteht seine Sache. Des Weiteren erleben wir ein viktorianisches Sittenbild; die Reaktionen der Presse, der Politik, die mitschwingende Fremdenfeindlichkeit, der zum Teil wunderliche Alltag von Familien – all das findet sich in dem Buch. Und auf einer persönlichen Ebene schließlich werden zwei Schicksale einander gegenübergestellt: Doyle, der von der starken Mutter geprägt, zu einer öffentlichen Figur (fast so berühmt wie Kipling) aufsteigt; und Edalji, dessen Name stets falsch ausgesprochen wird, der ein Kauz ist, dem es reicht, ein paar hundert Exemplare seines "Railway Law for 'The Man on the Train'" zu verkaufen, dessen ereignisloses und eigenbrötlerisches Leben aber fast neugieriger macht als das des berühmten Sir Arthur.

Beiden Männer ist eines gemeinsam: Sie wollen akzeptiert sein. "You and I, George, you and I, we are unofficial Englishmen", meint der Schotte Doyle zum Parsee George. Die englische Gesellschaft kann brutal sein in der subtilen Ausgrenzung – bei George gelingt ihr das müheloser, aber dieser "Makel" der Fremdheit bleibt für die Protagonisten spürbar.

Dass Barnes ein präziser Erzähler ist, wissen wir. Dass er dennoch – scheinbar mühelos - einen Spannungsbogen aufrechterhalten kann, erhöht das Vergnügen. Dass er auch Nebenfiguren mit ihren kleinen Triumphen zu Wort kommen lässt, zeigt, dass er seine Erzählung in ihren Verästelungen im Griff hat.

Und dass uns der Verlag ein hübsch gemachtes Buch, das uns auch auf der taktilen Ebene (streichen sie nur übers Cover) in die erzählte Zeit zurückführt, offeriert, rundet den Lesegenuss ab. Eine Empfehlung – auch wenn es nicht ganz für den Booker gereicht hat!

 

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
01.12.2005
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