Ancient Light

Wir kennen den Ich-Erzähler, Alexander Cleave, aus “Eclipse” und “Shroud”, und wir wissen, dass er ein egozentrischer und unzuverlässiger Erzähler ist. Das bestätigt er auch im neuesten Roman Banvilles, der im Übrigen nicht auf der Booker Longlist ist (Warum eigentlich nicht?).

Cleave, Mitte sechzig, hat sich zurückgezogen und lebt mit seiner Frau in Abgeschiedenheit; die meiste Zeit ist er mit seinen Erinnerungen (mit viel misremembering) beschäftigt, vor allem mit der Erinnerung an seine erste große Liebe. Er war 15 und  hatte ein Verhältnis mit Mrs Gray, der Mutter eines Freundes. Mrs Gray war Mitte dreißig und verführte Alexander auf der Liege in der Waschküche. Es folgt ein Sommer mit Verliebtheit und Sex, bis sie von Kitty, der Tochter der Grays, erwischt wurden. Dazwischen befinden wir uns in der Gegenwart, in der Cleave die Rolle des Mr Vander (ein alter ego von Paul de Man) angeboten wird. (Was wir wissen, aber Cleave nicht: Vander hatte ein Verhältnis mit Cass, der Tochter der Cleaves, die sich vor vielen Jahren umgebracht hat.). An Cleaves Seite agiert als jugendliche Geliebte die berühmte Schauspielerin Dawn Devenport. Nach einem Selbstmordversuch Dawns reist Cleave mit ihr nach Ligurien, in die Nähe von Portovenere, dem Schauplatz von Cass‘ Selbstmord.

Sie sehen – es ist alles sehr kunstvoll miteinander verknüpft, und auch die Schlusssequenz rundet die Geschichte mit Mrs Gray recht hübsch ab. Das Interessante an Banvilles Romanen ist ja das Gedrechselte, wobei er sich nicht scheut, zu überziselieren. Ununterbrochen werden wir über Cleave durch Gerüche, Wahrnehmungen, Flashes verfolgt. Auch die schönste Haut hat einen kaum wahrnehmbaren modrigen Schimmer, und aus jedem versperrten Raum entweicht seufzend schale Luft. Wen wundert‘s, dass wir in diesem Buch erleben können, mit welcher Leichtigkeit all jene Wörter gebraucht werden, die wir sonst nie brauchen (ich zumindest nicht): pugnacious, importunings, somnolent und surreptitious. Da hat man gleich das Gefühl, man hat dazugelernt.

P. S. Da meine signierte Ausgabe noch auf sich warten lässt, musste ich’s am Kindle lesen.

London: Viking 2012; pp. 256

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Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
04.09.2012
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