An Instance of the Fingerposts

"Um Ihnen den Titel dieses historischen (Kriminal)romans, der nicht zu Unrecht mit Ecos "Der Name der Rose" verglichen wird, zu erklären, krame ich meinen Franz (sic!) Bacon hervor (WBG 1981); im zweiten Buch des "Neuen Organ der Wissenschaften", Punkt 36, findet sich die 14. Instanz, die des Kr ...

"Um Ihnen den Titel dieses historischen (Kriminal)romans, der nicht zu Unrecht mit Ecos "Der Name der Rose" verglichen wird, zu erklären, krame ich meinen Franz (sic!) Bacon hervor (WBG 1981); im zweiten Buch des "Neuen Organ der Wissenschaften", Punkt 36, findet sich die 14. Instanz, die des Kreuzweges; dort heißt es, dass die "entscheidenden Eigenthümlichkeiten" den Ausschlag geben, wenn das Urteil "unsicher schwankt". Unsichere Urteile und zahllose Eigentümlichkeiten sind tatsächlich wesentliche Elemente dieses Romans, und wo Eco Roger Bacon bemüht, da ist es hier Francis Bacons Methode des voranschreitenden Urteils, die uns letztendlich ein - noch immer trügerisches - Gesamtbild liefert.

Der Roman spielt im Restorations-England des Jahres 1663 und versammelt eine Vielzahl illustrer Figuren: den Chemiker Boyle etwa, den Philosophen Locke, den Mathematiker Wallis, den aufstrebenden Architekten Wren, jede Menge Gute und Böse aus der Politik (auch Cromwell-Überbleibsel) und eine Handvoll fiktiver Charaktere. Pears, von dem ja wunderbare Kunstkrimis stammen (vgl. NEWSLETTER Oktober 1996, über "Giotto's Hand") hat überaus gründlich recherchiert und Wahrheit und Fiktion äußerst gekonnt vermischt.
Der wahre Kunstgriff aber ist, dass Pears ein und denselben Vorfall von vier Charakteren erzählen lässt - wobei es zuerst den Anschein hat, als ginge es bloß um den Mord an Dr. Grove, Senior Fellow des New College, Oxford, und den anschließenden Prozess gegen Sarah Blundy, die wegen Mordes gehängt wird. Den Erzählbeginn macht der venezianische Müßiggänger Marco da Cola, der als Arzt-Amateur, gemeinsam mit Dr. Lower, an Sarahs Mutter allerlei Experimente durchführt. Da Cola präsentiert uns einen relativ harmlosen Mordfall, allerlei Interessantes aus dem Bereich der Naturwissenschaften und einen höchst unterhaltsamen Blick auf die seltsamen Engländer mit den Augen des urbanen Venezianers.
Es folgt der Bericht des Jack Prestcott, dessen Vater als Verräter gilt, was dem jungen Prestcott nicht nur jede Karrieremöglichkeit nimmt, sondern auch zum Verlust seiner Güter geführt hat. Verzweifelt versucht er, seinen Vater, der offensichtlich mit den Blundys in Verbindung stand, von jeder Schuld reinzuwaschen. Wir merken inzwischen, dass es nicht nur um einen Mordfall, sondern um höchstes politisches Intrigenspiel geht. Im dritten Bericht wird der politische Aspekt offenbar, da Cola erscheint in einem völlig neuen Licht, und Dr. Wallis, Kryptograph und Intrigant, bringt ein gerüttelt Maß an Paranoia ins Geschehen. Alle drei Berichte zeichnen sich durch eine gewisse Selbstsucht und Unmenschlichkeit aus - am wenigsten noch der von da Cola, da wir noch zu wenig über ihn wissen, am meisten der von Wallis; Prestcotts Bericht ist aus anderen Gründen äußerst mangelhaft ...
Am menschlichsten - und erhellendsten - ist da der vierte Bericht, der des Historikers Anthony Wood. Viele Episoden, vor allem aber auch die Rolle der Sarah Blundy (hier gibt's eine Überraschung) werden durch ihn erst klar; ob er die Wahrheit und nichts als die Wahrheit sagt, muss allerdings offen bleiben, denn wie viele "entscheidende Eigenthümlichkeiten" muss ich sammeln, um ein endgültiges Urteil fällen zu können?

"An Instance of the Fingerposts" liest sich - trotz seines Umfangs - relativ rasch und spannend, ist aber keineswegs leichte Kost. Eine gute Portion Anglophilie, Interesse für ein komplexes Geschehen, Vergnügen an der "Rashomon"-Technik sind für die Lektüre auf jeden Fall förderlich. Wer allerdings dem prodesse et delectare-Lesen anhängt, der wird mit dem Buch große Freude haben; wer sich über die "In der Tradition von Eco"-Klappentexte geärgert hat, wird diesmal nicht enttäuscht sein. Wer seinen historischen (Kriminal)Roman eher authentisch als postmodern will, wird ebenfalls zufrieden sein. Und wer genug Zeit hat, sollte sich das Buch von Pears (mittlerweile auch als Taschenbuch erhältlich) nicht entgehen lassen."

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
01.07.2001
Link
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