Amsterdam

"Das also ist der Booker Prize-Gewinner für 1998, und ich kann dabei vor allem nur mir gratulieren, weil ich ihn rechtzeitig auf Verdacht hin gelesen habe. Dem Booker Prize Komitee hingegen kann ich nur mit halbem Herzen gratulieren, denn "Amsterdam" ist zwar durchaus ein Lesevergnügen, aber ich ...

"Das also ist der Booker Prize-Gewinner für 1998, und ich kann dabei vor allem nur mir gratulieren, weil ich ihn rechtzeitig auf Verdacht hin gelesen habe. Dem Booker Prize Komitee hingegen kann ich nur mit halbem Herzen gratulieren, denn "Amsterdam" ist zwar durchaus ein Lesevergnügen, aber ich bezweifle sehr, dass das Buch den bedeutendsten britischen Literaturpreis verdient. War schon "The God of Small Things" (vgl. NEWSLETTER Dezember 1997) ein gefälliges Buch, so ist "Amsterdam" noch mehr ein Kurzroman, der auf breite Leserschaft schielt. Aber vielleicht ist das der eigentliche Kern des Booker, und alle, die Bücher schreiben, machen, verkaufen - und alle, die ab und zu ein paar Bücher lesen, sind damit rundum zufrieden.
McEwan erzählt die Geschichte von ein paar Männern, die vor ihrer Zeit an ihren Tod erinnert werden, als die etwa 40-jährige Molly an einem seltsamen Leiden stirbt. Allen voran zeigen sich zwei Ex-Liebhaber Mollys erschüttert: der selbstgefällige Komponist Clive Linley, der gerade an seiner Millenniums-Symphonie arbeitet, und der selbstgerechte Herausgeber des liberalen The Judge, Vernon Halliday. Als Vernon die Gelegenheit erhält, beider Erzfeind, dem konservativen (und widerlichen) Foreign Secretary, Julian Garmony, mit kompromittierenden Fotos (von Molly aufgenommen) eins auszuwischen, tut er dies - gegen Clives Ratschlag. Die beiden, die eben erst einen wechselseitigen Euthanasie-Pakt geschlossen haben (sollten sie ähnlich würdelos wie Molly sterben müssen), werden zu Feinden. Ein Versöhnungstreffen in Amsterdam wird zu einem Showdown, in dem Julian unversehens triumphieren kann.
Das alles ist eine bestsellerhaft-spannend erzählte Geschichte, die sich - wie gesagt - flott liest, aber ein Literaturschelm, wer denkt, hier muss dem Subtext nachgejagt werden (Amsterdamned!). Natürlich geht's um Macht, Politik, Sex (kinky, wie bei Konservativen so üblich), aber die große moralische Fabel, als die manche den Roman vielleicht sehen möchten, ist sie m. E. nicht. Viel eher geht's um ältliche Männer, die noch einmal zeigen wollen, dass sie etwas aufstellen können (pun intended!).
So besehen, sind die Juroren/-innen des Booker nicht zu beneiden, denn Bücher dieser Art werden genug geschrieben. Dass ausgerechnet McEwan den Preis gewonnen hat, sei ihm und seinem Verlag gegönnt - dass damit aber ein Preis vergeben wurde, der ein ausgezeichnetes Buch ehrt, finde ich ganz und gar nicht.
Ideal jenen unter den Christbaum, die meinen, in der Gegenwartsliteratur bewandert zu sein."

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
01.07.2001
Link
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