A Crime in the Neighborhood
Bernes Buch ist faszinierend, weil es einen einerseits klinisch nüchternen, andererseits bewegenden Blick auf einen Vorort wirft und so etwas wie einen soziologischen Roman dadurch entstehen lässt.Das Jahr ist 1973, der Ort eine Straße in einem kleinbürgerlichen Vorort in Washington, D.C. Die Er ...
Bernes Buch ist faszinierend, weil es einen einerseits klinisch nüchternen, andererseits bewegenden Blick auf einen Vorort wirft und so etwas wie einen soziologischen Roman dadurch entstehen lässt.
Das Jahr ist 1973, der Ort eine Straße in einem kleinbürgerlichen Vorort in Washington, D.C. Die Erzählerin, Marsha, ist ein neunjähriges Mädchen, das allerdings den Sezierblick einer Vierzigjährigen hat. Das Faszinierende dabei ist, dass Marsha sich an unglaublich viele Details erinnert, mit denen größere Welten eingefangen werden und die immer wieder für überraschende Wechsel in der Wahrnehmung sorgen.
Der Roman beginnt mit dem Mord an einem zwölfjährigen Jungen, einem Mord, der in dieser Gegend eigentlich nie hätte passieren dürfen. Diese eklatante Störung der Ordnung bringt sozusagen das Böse in die Welt: Die Bewohner/-innen des Vororts entwickeln neue Ängste, die Männer patrouillieren die Straßen, die Kinder sind von all dem mehr fasziniert als verstört. Der Mord wird nie geklärt, auch nicht nach den vielen Jahren, da die Erzählerin ihren Rückblick beginnt.
Für Marsha ist der Mord, für den sie auch einen Mörder gefunden zu haben glaubt, den sie nun unentwegt beobachtet und den sie - wohl wissend, was sie da tut - der Polizei 'ausliefert', auch der Beginn eines anderen 'Verbrechens.' Ihr Vater verlässt sie, verlässt die Familie, weil er mit der Schwester seiner Frau ein Verhältnis angefangen hat. Für Marsha beginnen Erklärungen, Schuldfragen, verantwortliche Personen zu verschwimmen. Wer hat ihre Welt zerstört? Der Mörder? Der Nachbar? Der Vater? Die Mutter? Sie sammelt Beobachtungen, Details ihrer Kindheit - und für uns entsteht dadurch ein soziologisch interessantes Bild der 70-er Jahre, die in gewisser Weise den 50-ern an Mief und Dumpfheit um nichts nachstehen. Obwohl wir diese Welt hinter uns gelassen haben (die Erzählerin flicht dies immer wieder ein, wir wissen, dass sie sich anhand des Tagebuches, das die kleine Marsha immer mit sich trug, erinnert), entsteht sie kräftiger als man auf Grund der Ereignisse annehmen möchte. Beides, allgemeine Tristesse und persönliche Trauer, erinnern immer wieder an Raymond Carvers Meisterleistungen, und es ist faszinierend, wie Berne es mit Sprache, Erzähltempo, Beobachtungsreichtum schafft, eine Welt entstehen zu lassen, wie sie eine umfangreiche Dokumentation nicht besser hätte wiedergeben können.